Text Corinna Heumann/ Illustration: numbers(e)motion, cpf.
Die Kunst des futuristischen Portraits
Die Konzeptkunstphysikerin Christiane Pacyna-Friese stellt Menschen die in einer Zukunft leben, ihre Talente und Lebenseinstellungen in Klangbildern dar.
Eine berührbare Zukunftsgesellschaft
Diese abstrakten Portraits oder Klangbilder stellen Menschen vor, die tatsächlich leben könnten. Zukunft wird mit ihnen erfahrbar. Es ist ein begeisterter, wenn auch kritischer Blick auf unsere digitale Zukunft und die möglichen technischen und wissenschaftlichen Errungenschaften.
Wir spiegeln uns in diesen fiktiven Menschen, unseren möglichen Nachkommen, in ihrer und unserer ganzen Vielfalt und Emotionalität. Sie sind jung oder alt, Frauen oder Männer, Intellektuelle, Handwerker oder Ingenieure und leben variantenreiche sexuelle Lebensstile.
Sie sind in ihren Erfahrungshorizonten, dem Wissen und der Herkunft sehr verschieden. Ihre Präferenzen werden mit ihren Möglichkeiten, Träumen und ganz realen Lebensbedingungen vorgestellt, befreit von anekdotenhaften Attributen der herkömmlichen Sciencefiction-Projektionen.
Franziska Einstein stammt aus einer berühmten Familie und wird erst in hundert Jahren das Licht der Welt erblicken
Sie zeichnet sich durch eine kritische Haltung gegenüber der Technik aus: Technik ersetzt das Leben nicht. Bewahrt eure menschlichen Eigenschaften! Sie befürchtet, dass all die smarten Helfer und Entwicklungen im öffentlichen und privaten Raum dazu führen, dass Individualität und kritischer Verstand verloren gehen. Vielmehr geht sie davon aus, dass technische Algorithmen so mächtig sind, dass sie das körperliche Ich auf das Niveau eines bloßen Abbildes im Netz um-entwickeln können.
Transformationsmethodik
Für jedes Klangbild werden Daten körperlicher Realitäten auf die digitale Ebene übertragen und mithilfe von Zahlensystemen, wie Primzahlen, verarbeitet. Die fiktiven Nachfahren unserer Zeitgenossen oder historischer Persönlichkeiten haben Namen und einen Stammbaum. Als Nachfahre von Friedrich Engels wird in 100 Jahren Jonah Engels in Wuppertal geboren werden. Mit einer Virenerkennungssensorik ausgestattet, lebt er mit seiner Krankheitsfirewall sehr geschützt.
Die Urenkelin der berühmten Künstlerin und Museumsgründerin Marianne Pitzen
Jule Pitzen wird in hundert Jahren in Bonn geboren werden. Ihr wird die Urgroßmutter, die berühmte Feministin und Museumsgründerin Marianne Pitzen, immer ein Vorbild sein. Sie nutzt die Möglichkeit Grenzen zu überwinden, indem sie einen Chip am Ohr trägt, der in der Lage, ist Gedanken und Gehörtes simultan in viele Sprachen zu übersetzen. So kann sie sich ohne Kommunikationsbarrieren in der ganzen Welt bewegen.
Nicht nur Portraits von Vorfahren, sondern auch von Bürger und Bürgerinnen von Digitopia in 100 Jahren.
Das erste mit künstlicher Intelligenz generierte, fiktive Portrait des Edmond de Belamy wurde mit dem Blick zurück auf der Grundlage von Daten westlicher Portraitmalerei zwischen dem 14. und 20. Jahrhundert konzipiert und bei Christie’s am 25. Oktober 2018 versteigert. Die Künstlerin dagegen stellt aus realen Datensätzen Portraits von Menschen her, die in der Zukunft leben werden. Durch ihre konkrete Familienzugehörigkeit werden sie emotional erfahrbar.
Diese Portraits inspirieren unsere Vorstellungskraft. Diese ungeborenen Menschen könnten tatsächlich Bürgerinnen und Bürger einer Digitopia in 100 Jahren sein.
Pacyna-Frieses Klangbilder werden zu Portraits: Sie wirken auf den Betrachter durch ihren jeweiligen Farbklang und die Dynamik der Formenvielfalt, sowie in ihrer Anordnung so individuell wie eigenständige Persönlichkeiten.