Die Lüge vom Zeitalter der Fake News!

Immer wieder wird von Fake News berichtet, unsere Epoche wird sogar als „postfaktisches Zeitalter“ bezeichnet.

Die digitalen Medien werden gerne als Grund für den Beginn dieser neuen Epoche genannt.

Ein Beleg dafür wären die Posts unserer Freunde in den sozialen Medien, in denen diese ihre Leben für die Öffentlichkeit schönen würden.

Dort werden schlechte Ehen als Hort der Geborgenheit präsentiert, Unsportliche posten Bilder von Bergtouren, Tütenaufreißer werden zu Gourmetköchen, Falten werden wegretuschiert und der kleine nervige Nachwuchs wird zum zauberhaften Genie – in der Welt von Twitter und Co.

Doch – reicht das aus, um von einer Epoche der Lügen zu sprechen?

Sich selbst und das, was wir tun, attraktiver darzustellen, ist keine Erscheinung unserer digitalen Zeit. Bereits im analogen Zeitalter haben wir Rollen gespielt, wie der Soziologe Erving Goffmann in seinem Buch „Wir alle spielen Theater“ veranschaulicht.

Die Darstellung nach Außen ist sogar Teil unserer Identität und gehört schon immer zum sozialen Wirken der Menschen dazu.

So betrachtet, ist unsere digitale Identität nicht mehr, als eine weitere Rolle auf der Bühne unseres Lebens. Es gibt also im Grunde keine digitale oder analoge Identität, wir erweitern unsere Gesamtidentität mittlerweile nur ins Digitale hinein.

Wir selbst, in allen unseren divergierenden Rollen, sind quasi wandelnde alternativen Fakten.

Konsens über das, was wahr ist. Grundsätzlich gilt als wahr und Wahrheit, was eine Gruppe von Personen einheitlich wahrgenommen und empfunden hat.  So ist bei Gerichtsprozessen eine Übereinstimmung der Erinnerungen bei Zeugenbefragungen unablässig.

Doch auch der Maßstab dieser kollektiven Erinnerungen hält nicht wirklich stand – ist oft ebenfalls nicht objektiv genug.

Denn –  unsere Erinnerung täuscht uns! Sie spielt mit uns – hält uns gerne zum Narren.

Dies hat die Psychologin Elizabeth Loftus mit beeindruckenden Versuchen beleget. Loftus forscht seit bald 50 Jahren daran, wie sich das menschliche Gedächtnis austricksen lässt. Nach all den Jahren Forschungstätigkeit ist sie zu dem ernüchternden Ergebnis gekommen, dass unsere Erinnerung oft wenig mit den tatsächlich erlebten Ereignissen zu tun hat.

Sie belegt, dass besonders bei komplexen und emotionsbeladenen Themen –  von denen heute zweifelsohne einige in den sozialen Medien kursieren – die Wahrheit sich in unseren Köpfen verzerrt.  Dies Verzerrung geschieht heute, im digitalen Zeitalter, massenhaft, weil es so viele Menschen nutzen.

Ein Grund mehr, sich dem Werk von Gustave Le Bon,  „Psychologie der Massen“ aus dem  Jahr 1895 zuzuwenden. Hierin erklärt der Autor dass Menschenmassen am besten durch visuelle Eindrücke, Worte und Redewendungen bewegt werden können. Ähnlich wie Kinder sind Massen besonders für Bilder und Geschichten empfänglich. Je bunter und eindringlicher, desto besser. Welches Zeitalter wäre dafür mehr geeignet, als das digitale? Die digitale Welt multipliziert lediglich einen Umstand, der vor über hundert Jahren bereits galt. Hier treffen Massen von Menschen mit Bildern und Geschichten zusammen.

Wir leben nicht in einer „postfaktischen“ Zeit, wir leben in einer Zeit der „digitalen Emotionalisierung“.

Tausende von Tiervideos erfreuen sich großer Beliebtheit in den digitalen Medien, weil sie uns dort packen, wo unser Hauptinteresse liegt, in unseren Emotionen.  Auch politische und gesellschaftliche Themen sind in der digitalen Welt zunehmend mit Emotionen und Bildsprache behaftet. Geschieht dies möglicherweise auf Kosten des Wahrheitsgehaltes, weil wir die Fakten in all unseren Emotionen nicht mehr sehen können?

Die Zeit der Wahrheit und der Fakten – gab es ein faktisches Zeitalter?

Ich meine, die Erklärung, dass sich emotionsgeladene Inhalte in der digitalen Welt rasant verbreiten, reicht nicht aus, um unsere Zeit als postfaktisch zu bezeichnen. Wenn wir einen Blick in die Geschichte werfen, sind die Ergebnisse eher ernüchternd.

Es gab sie offensichtlich nie, die faktische Ära absoluter Wahrheit.

Unsere ohnehin fehlbare Wahrnehmung von der Wahrheit wird schon seit geraumer Zeit durch Propaganda, Manipulation und Desinformation verzerrt.

Die Lügenpresse.

Der Journalist und Verleger Joseph Pulitzer kauft 1883 die „New York World“ und macht aus ihr die erste Zeitung moderner Art. Mit diesem neuen Massenmedium, kam auch der Begriff der Lügenpresse erstmals im 19. Jahrhundert auf.  Der Begriff bedeutet in seiner Gesamtheit, dass die Medien die Bevölkerung manipulieren.

Dabei ist die Bezichtigung der Lüge fast ausschließlich selbst ein Instrument der Manipulation und Desinformation: Im Ersten Weltkrieg nutzen nationale Intellektuelle und Journalisten im Deutschen Reich den Begriff. Die kommunistische DDR betreibt unter diesem Titel Propaganda gegen den Westen. Die historische Liste könnte ewig weiter benannt werden.  Heute bedient sich die AfD ihrerseits des Begriffes der Lügenpresse, um die Bevölkerung zu verunsichern und zu manipulieren.

Derjenige, der mit dem Finger auf die Medien zeigt, stellt sich selbst als Fürsprecher der Wahrheit da. Meist zu Unrecht, wie ein Blick in die Geschichte zeigt.

Mit der explosionsartigen Vermehrung von Printerzeugnissen explodieren auch die Verschwörungstheorien. Kein Wunder also, dass diese im digitalen Zeitalter einen weiteren exponentiellen Schub erfahren.

Glaubensgemeinschaften als Hort der Wahrheit?

Glaube und Mythen sind eine „anthroposophische Konstante“, wie man es in der Soziologie gerne bezeichnet. Sie gehören einfach zum Menschen dazu – bereits seit prähistorischer Zeit verbinden sich Menschen durch Mythen und gemeinsame Werte.  Denn erst gemeinsame Geschichten machen es möglich, dass wir Regeln unserer Gemeinschaft als wahr definieren und befolgen. Wie sehr diese gemeinsamen Wahrheiten jedoch variieren können, wird an den Glaubenskriegen der Geschichte und Gegenwart deutlich. Ein gemeinsamer Glaube ist nicht mehr, als die Einigung auf eine gültige Wahrheit. Die Form wird hier zum Inhalt. Yuval Noah Harari bezeichnet in seinem Buch „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“ Weltreligionen als antike Fake News, die uns dazu brachten, unsere Zivilisation aufzubauen.

Wir einigen uns auf eine Wahrheit, schon immer.

Die Geschichten von unseren Werten erzählen wir Menschen im richtigen Moment und so glaubwürdig, dass Millionen andere Menschen sie ebenfalls als wahr erachten.  Weltreligionen wir Christentum und Islam haben so ihre Botschaften mit Erfolg verbreitet und sind für viele Menschen gültige Wahrheit.

Darum heißt es auch heute noch: Glaube!

Doch hat der Glaube an eine gemeinsame Wahrheit dazu geführt, dass Menschen sich verbanden und unsere Welt formten. So, wie wir sie heute erleben.

Die unbequeme Wahrheit ist, dass wir nicht erst heute in einem Zeitalter der Fake News leben. Wir tun das schon, seit wir begonnen haben, als Menschen zu existieren.

Wir haben schon immer Geschichten erfunden und damit Geschichte geschrieben. Das Einzige, was uns vor einem moralischen Verfall retten wird, ist der Vorsatz, niemanden mit einer Lüge schaden zu wollen: Unabhängig seiner Herkunft und seines  Glaubens.

Wir können die Digitalisierung nutzen, um uns wohlwollend mit dem Rest der Welt zu verbinden und eine neue Epoche der Geschichtsschreibung zu beginnen – oder, um uns gegenseitig der Lüge zu bezichtigen und uns gegenseitig damit zu vernichten.

Wir haben die technischen Möglichkeiten – und die Wahl. Die Wahl, unsere Geschichten zum Wohle aller zu erzählen und damit einen Wendepunkt in der Geschichte der Menschheit einzuläuten.

 

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