Karriere – alles Zirkus?

Text & Illustrationen: Susanne Gold

Wenn es um Karriere geht, scheint es heute viele Missverständnisse zu geben.

Lange Zeit galt Karriere als schweißtreibende Angelegenheit mit einfachen Regeln: Fleiß und nach Oben war die einzige Richtung, die man in hierarchisch geführten Unternehmen kannte. Die Menschen arbeiteten sich entlang sogenannter Kaminkarrieren ab – Lehrling, Geselle und Meister – war die Regel.

Aber – dieses System hatte schon vor einem halben Jahrhundert echte Nachteile, wie es Laurence J. Peter in seinem Buch „The Peter Principle“ beschrieb. Folgt man Peter, neigen Beschäftigte in solchen Hierarchien dazu, so lange aufzusteigen, bis sie einen Posten innehaben, der sie überfordert. Peter nannte dies sogar ein weltbeherrschendes Grundgesetz und spendete mit seinem in den Siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts publiziertem Werk vermutlich vielen Menschen Trost.

Denn sie sahen bestätigt, was sie schon wussten: Ihre Vorgesetzten hatten zwar die Macht, aber oft keinerlei Ahnung. 

Bei der Vergabe von Positionen ging es selten um echtes Wissen, sondern häufig um politische Spielchen, die wie Realsatire anmuten. Unternehmen heute haben den schwierigen Auftrag, dass ihre Aufstiegsmöglichkeiten auch die Interessen des Unternehmen spiegeln und Klarheit darüber zu schaffen, welche Befähigung Führungsrollen mit sich bringen sollen. Heute geht es nicht mehr um den Firmenwagen und das dickes Geld, sondern mehr um Fairness in der Bezahlung und um intrinsische Motivation, Wertschätzung und eine gelungene Feedbackkultur. Das bedeutet: Kommunikative Fähigkeiten der Führungskräfte und ihr emphatisches Mindset gewinnen massiv an Bedeutung. Eine Führungskraft heute muss eher ein guter Coach sein, denn ein Befehlshaber.

Die Haltbarkeit von Wissen hat vor dem Hintergrund der sich rasant entwickelnden Technologien stark abgenommen. Soziologen gehen darum davon aus, dass sich die Lebensläufe der Menschen immer weiter individualisieren. Dies bedeutet, sie gleichen einander nicht länger, denn Menschen entwickeln sich nicht mehr entlang einer Kaminkarriere- sondern vielmehr im Rahmen eines Mosaiks.

Hinzukommt, dass die Vorstellung, ein vertikaler Aufstieg innerhalb einer Hierarchie sei notwendig für soziale Anerkennung, immer mehr an Bedeutung verliert. 

Unternehmen selbst sind vom Umbruch begriffen. Permanent entstehen neue Geschäftsbereiche, Technologien kommen und gehen. Der Wandel spielt nach belieben mit Märkten und Branchen und bewirkt so, dass Unternehmen zunehmend ihr „Karriere-Monopol“ verlieren und Stabsstellen für Corporate Long Learning sowie maßgeschneiderte Karriereberatung offerieren müssen. 

In den neuen Organisationen arbeiten die Mitarbeiter zunehmend projektorientiert, das heißt, sie suchen sich ihre Aufgaben selbst und finden sich in virtuellen sowie temporärem Teams zusammen. Hinzukommt, dass seit der COVID-19  Pandemie Menschen vielfach ausschließlich vom Homeoffice aus arbeiten und somit ausnahmslos in virtuellen Teams.

Die neue Generation von Mitarbeitern will sich oft nicht mehr einer Karriere Willen unterordnen.

War Karriere früher eine Bewegung innerhalb vertikaler Hierarchien, gleicht diese heute mehr einer persönlichen Entwicklung. Menschen wollen wachsen, ihr individuelles Mindset entwickeln und Freude am eigenen Schaffen haben. Das hat nichts mehr mit  dem höher klettern in einer hierarchischen Struktur zu tun. 

Darauf müssen auch Unternehmen reagieren. 

Zunehmend werden Entwicklungsplattformen für Kompetenzen offeriert. Der Arbeitgeber muss sich, um für Talente attraktiv zu bleiben, vom reinen Ort der Erwerbstätigkeit und Existenzsicherung zu einer Art „Persönlichkeitsentfaltungs-Organisation“ entwicklen. Es liegt auf der Hand, dass damit viele der Personalorganisationen überfordert sind.

Alte hierarchische Denkmuster wehren sich gegen solche „Sidesteps“ – vor allem jene, die in diesen Hierarchien Karriere gemacht haben. 

Karriere ist heute nicht mehr an eine verordnete Verhaltenskultur geknüpft, die Tugenden wie Fleiß und Pünktlichkeit impliziert. Die Herausforderung der Unternehmen unserer Tage ist es, eine völlig neue Wertkultur zu entwickeln. Dabei geht es um Vertrauen, Intellektuelle Herausforderungen, Wertschätzung und individuelle Anteilnahmen. Für viele aus der alten Führungsriege ist das zu viel. Obgleich sie wissen, dass sich die Geschäftsmodelle ständig verändern, halten sie menschlich nicht Schritt mit diesen Veränderungen und nicht mit ihren neuen Aufgaben als Führungskraft. 

Auch die Talentsuche gestaltet sich zunehmend schwieriger. Lange Zeit reichte es, die Talente mit einem guten Gehalt anzulocken. 

Damit zieht man immer noch potenzielle Mitarbeiter an, aber nicht unbedingt die Besten. Denn auch für die Individuen wirft das Thema Karriere heute allerhand Fragen auf. Welche der erlernten Kompetenzen sind morgen noch etwas wert auf dem Arbeitsmarkt? Die Planung einer Karriere gestaltet sich schwierig – jede neu erlernte Fähigkeit kann ein Schritt ins Leere sein, da das Wissen überholt sein könnte.

Wer heute Karriere machen will, beschäftigt sich am besten zunächst mit sich selbst und seinem Verständnis von Karriere. Der eigene innere Kompass ist hier durchaus das richtige Werkzeug für die Navigation.

Die japanische Philosophie Ikigai beschäftigt sich mit dem allgemeinen Sinn des Lebens. Mit den Fragen, die dort gestellt werden, soll man herausfinden können, aus welchem ganz persönlichen Grund es sich lohnt, jeden Morgen aufzustehen, den Tag zu beginnen und zu arbeiten. Ikigai gilt in Japan als der Schlüssel zu einem langen, erfüllten Leben.

 

Die erste Frage der Karriere-Navigation heute lautet: Was machst Du leidenschaftlich gern und wofür davon hast Du tatsächlich Talent – und nicht “mit wem trinkst Du Deinen Kaffee”?

 

 

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