Digitale Manipulation und die menschliche Natur

Das soziale Leben hat sich verändert. Die digitale Kommunikation hat die Struktur und die Art unserer sozialen Beziehungen als auch unser und Zugang zu Information und Wissen verändert.

Sofern wir nicht als Eremit in Abgeschiedenheit leben, können wir es kaum vermeiden, eine Spur von Daten zu hinterlassen. Die Nutzung des Internets verändert nicht nur unser Verhalten – es verändert uns Menschen selbst.

Zum Wohle aller oder, um alle zu übervorteilen?

Die moderne Beeinflussung heißt „Nudging“. Beim Nudging werden Menschen weder informiert, noch überzeugt.

Es werden ihre Schwächen genutzt, um bestimmte Verhaltensweisen zu provozieren. Dabei werden Informationen und Angebote im Netz so personalisiert, dass unerwünschtes Verhalten bestraft und erwünschtes belohnt wird. Dies können Staaten – wie zum Beispiels China mit dem Citzien Score –einsetzen, wie Unternehmen, um ein Verhalten zu provozieren.

Nudging, kombiniert mit riesigen Datenmengen, den Big Data, wie sie beispielsweise in den sozialen Medien vorkommen, machen eine neue Version des Nudging möglich – Big Nudging.

Große Datenberge und große Einflussnahme – Big Nudging

In den sozialen Medien liegen eine schier unglaubliche Menge an Informationen und Daten über die Nutzer vor. Insiderinformationen darüber, wie wir denken, wie wir fühlen – und wie wir manipuliert werden können.

Diese Informationen können nicht nur dazu verwendet werden, uns zum Kauf überteuerter Produkte zu bewegen, sondern auch, um uns zu überzeugen, unsere Stimme einer bestimmten Partei zu geben. Selbst kritisch denkende Menschen können sich der digitalen Beeinflussung nur schwer entziehen.

Big Nudging zwischen Hoffnung und Horror

In einer Welt, in der Cyberkriminalität explodiert, ist die Versuchung groß, dieser ebenfalls digital zu begegnen. Einige Staaten verwenden bereits Nudging, um die Bürger zu gewünschtem Verhalten zu bewegen. Es liegt auf der Hand, dass gerade in Fragen der Sicherheit und der Kriminalitätsprävention – Nudging als attraktives Instrument erscheint.

Die Befürworter argumentieren mit „Nudging für den guten Zweck“ die. Ein Beispiel dafür ist das Nudging für das Umweltschutz und Weltklima. Hier sollen die Bürger zu bewusstem Umgang mit den Energieressourcen motiviert werden. Oder die Ineffizienz der Finanzmärkte beheben, in dem allzu gieriges Verhalten von Händlern bestraft und sozial verträgliches belohnt wird.

Sogar zum Weltfrieden könne Nudging beitragen, argumentieren Hardcore-Utopisten, denn schließlich könnte man alle Menschen zu friedlicherem Verhalten umerziehen.

Dabei wird das patriarchische Denken eines Staates offensichtlich – der Staat als guter Vater, der weiß, was für seine Kinder „gut oder schlecht“ ist. In einem solchen Staat sind die Bürger genau das: Kinder, die erzogen werden und nicht mündig Bürger.

Kann man komplexe Systeme – wie den Mensch und Gesellschaften – von oben steuern, wie ein Auto?

Das fragte sich der Nudging Skeptiker Dirk Helbing. Um seine Zweifel zu veranschaulichen, bezieht er sich auf die Verschiedenartigkeit der Menschen. Nicht jeder reagiere gleich auf eine Bestrafung oder Belohnung.

Um dies zu verdeutlichen beschreibt er, wie unterschiedlich die Körper verschiedener Menschen auf ein Medikament wirken können. Eine Behandlung, die dem einen Kranken nützt, verursacht bei anderen Nebenwirkungen. Er fürchtet, dass die Anwendung ein- und derselben Maßnahme der Beeinflussung – also Nudging – auf ein Individuum der Gesamtbevölkerung mehr Schaden als Nutzen anrichtet.

Kein allgemeingültiges Rezept für die facettenreiche Masse

Um eine Beeinflussung zu gestalten, die tatsächlich dem Wohle und der Sicherheit aller dient, müssten zahlreiche Facetten berücksichtigt werden. Diesem Anspruch kann eine Massenmanipulation nicht gerecht werden. Im Gegenteil – Nudging könnte zu weiteren Diskriminierungen führen.

Die Formel, die die Massenmanipulation über die Bevölkerung legt, wird kaum dem Individuum gerecht.

In einer diversen Gesellschaft mit verschiedenen Kulturen, Ethnien und Lebensweisen variieren auch deren Bedürfnisse.

Darum kann nicht unreflektiert und einseitig ein Sanktions – und Belohnungssystem darüber gelegt werden. Das beste Beispiel dafür liefert die Versicherungsbranche: Würde man Prämien von der Ernährung abhängig machen, dann würden plötzlich Juden, Moslems, Christen, Frauen und Männer unterschiedliche Tarife zahlen und eine Fülle neuer Ungerechtigkeiten kreieren.

Wenn wir über Sinn und Unsinn von Beeinflussung und Überwachung streiten, streiten wir eigentlich darüber, ob der Mensch ein besseres soziales Wesen werden kann, als er in der Geschichte war.

Technik ist wie ein Messer – man kann damit ein Brot für sein Kind schmieren oder einen Piloten bedrohen und ein Flugzeug kapern. Das Verhältnis von Technik und sozialer Natur des Menschen ist jedoch ein reziprokes.

Der Mensch erschafft die Technik, die ihn letztlich verändert. Und so bleibt zu hoffen, dass der Mensch, wenn er nun mit der ganzen Welt kommunizieren und ihr gesamtes Wissen digital aufsaugen kann, ihr auch verbunden ist und bleibt. Dass der Mensch offen ist, ohne seine Offenheit als Kritiklosigkeit zu begreifen.

Dass der Mensch den Menschen, mit denen eher digital in Kontakt tritt, freundlich gewogen ist. Denn – der alles entscheidende Moment in der Geschichte der Menschen war, ist und wird für immer die Absicht des Menschen selbst bleiben.

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