Vor dem Hintergrund der weltweiten Herausforderung des aktuellen Coronaviruses erscheint es seltsam, dass wir wie selbstverständlich davon ausgegangen sind, unser Leben würde für immer so bleiben wie es ist und, dass wir so bleiben dürfen, wie wir sind.
„Wie immer“ – was ist das überhaupt?
Immer ist in der Regel ein Begriff, der sich auf die Gegenwart bezieht. Wir vergleichen unsere Gegenwart mit der jüngeren Vergangenheit und erwarten, dass die Zukunft eine logische und altvertraute Fortsetzung dessen sein wird, was bisher unsere Lebensläufe kennzeichnete.
Darum erwarten wir beispielsweise auch keine Neuauflage der Spanischen Inquisition. Aber auch die vergangenen Weltkriege und ihr grausamer Alltag für die Menschen damals spielen in unserer Erwartung an die Zukunft keine Rolle.
Es ist, als ob unser modernes Leben uns darauf programmiert hätte, alles Wissen unserer Geschichtsbücher und die Erzählungen unserer Ahnen zu ignorieren.
Die Flut der schnellen Nachrichten hat bewirkt, dass unser Fokus auf heute und den kommenden Tagen liegt.
Wir sind nicht vorbereitet auf eine Zukunft, in der sich unsere fernere Vergangenheit widerspiegelt.
Doch nun stehen wir einem Szenario aus der Vergangenheit gegenüber – einer Seuche. COVID-19 ist der Name des Winzlings, der die Welt mitsamt ihrer Wirtschaft in Schach hält. Das ist nicht das erste Mal in der menschlichen Geschichte. Es ist nicht die erste Seuche, die wir überstehen müssen.
Viren sind seit der Antike ein Teil des menschlichen Lebens.
Allein jeder Liter Meerwasser ist die Heimat von rund 100.000.000.000 Viren. Durch historische und wissenschaftliche Forschung wissen wir heute viel mehr über Viren als je zuvor. Dennoch kann kein Forscher vorhersagen, wann und wie es zu Ausbrüchen kommen wird.
Ausbrüche können schwer verhindert werden.
In einer auf immer engeren Raum, in überbevölkerten Städten und in einer zunehmend vernetzten Welt hat dieser Virus seinen Weg über den ganzen Globus gefunden.
Durch die zahllosen Regelungen und Neuerungen in Wirtschaft, Transport und Infrastruktur ist seine weltweite Verbreitung erst möglich geworden. Die fehlende physische Abgrenzung hat schon in der jüngeren Vergangenheit Seuchen wie zum Beispiel die Vogelgrippe Virus H5N1, SARS, das Dengue- und Ebola Fieber ermöglicht.
Was ist anders bei dem COVID-19?
Der weltweite Lockdown ist anders, den gab es bisher nicht! Gespenstig und grausam ist die Vorstellung, dass die Kraft der Viren auch für böse und niederträchtige Zwecke eingesetzt werden könnte: Zur biologischen Kriegsführung gegen unseresgleichen.
Doch die Entwicklung neuer Technologien schritt in den vergangenen Jahren auch auf diesem Gebiet voran. Die Genetik, die es möglich macht, neue Mikroorganismen zu schaffen, wird meist für friedliche Zwecke eingesetzt. Doch nicht ausschließlich: Pocken und Milzbranderreger kamen als Bio-Waffen bereits zum Einsatz, und 1995 wurde der der chemische Kampfstoff Sarin in der U-Bahn von Tokio durch Terroristen verbreitet.
Wir Menschen sind faszinierend widersprüchlich.
Grundsätzlich sind Krisen kein Problem für die Menschen, wir sind ihnen kognitiv und kulturell gewachsen. Der menschliche Geist hat in jeder Krise bisher kulturelle und menschliche Wunder vollbracht, mit der wir dieser begegnen konnten. Keine Spezies kann so großartige technologische und kulturelle Errungenschaften hervorbringen und gleichzeitig Armut, Kriege und Klimawandel verantworten, wie wir.
Was macht uns angesichts unserer derzeitigen Lage zu edlen und besseren Menschen?
Erasmus von Rotterdam bezeichnete das Verhalten eines Menschen dann als „humanistisch“, wenn ein Mensch in sozialem Bewusstsein handelte. Ein Humanist orientiert sich dabei nicht einfach nur an seinen eigenen Bedürfnissen und Idealen, sondern am Wohle aller Menschen. Dieser denkt nicht nur an sein eigenes Leben, sondern an alles Leben. Ein besserer Mensch ist, wer sich in diesem Sinne am Wohle aller orientiert.
Geeint in einer Pandemie: Werden wir weltweit unsere Lehren daraus ziehen?
Die soziale Dimension unserer Vernunft ist unsere Fähigkeit, die sozialen Auswirkungen unseres Handelns zu reflektieren. Nie war die Zeit besser, auf ethisch-moralischer Ebene und nun sogar global über unser Verhalten zu urteilen. Wir besitzen die Fähigkeit, Einsichten so zu verarbeiten, dass wir bewusst an uns arbeiten – und uns „zum Besseren“ verändern können.
Die Welt braucht globale Utopien.
Wir alle brauchen in dieser Zeit eine positive Vision von unserem künftigen Leben: Globale Ansätze, die unser aller Leben nachhaltig, besser und gerechter machen. Das sind Gesundheitsversorgung, Frieden, Nachhaltigkeit und Existenzsicherung für jeden Bürger der Welt.
Jetzt ist der richtige Zeitpunkt uns zu trauen, darüber nachzudenken, was uns als Menschheit weiterbringt. Die globale Krise eröffnet uns gleichzeitig einen globalen Neustart.
Ein weltweites bedingungsloses Grundeinkommen, Gerechtigkeit bezüglich der Kapitalgewinne aus Arbeit und Reichtum, Zugang zu gesundheitlicher Versorgung für jeden, nachhaltiges Wirtschaften und die Möglichkeit, sich zu bilden sind heute machbar. Alle Technologien, die es dafür bedarf, halten wir bereits in unseren Händen.
Ein kleiner Virus zeigt uns, dass wir alle ein gemeinsames Schicksal haben.
Es ist an der Zeit, dass wir uns als das begreifen, was wir immer schon waren: Einsame Bewohner unserer gemeinsamen Heimat in den unendlichen Weiten des Universums, in dem uns niemand retten können wird, wenn wir es nicht selbst tun.
Gründerin und Inhaberin des Zukunfts- und Wissenschaftsblogs „Utopiensammlerin“.
Die Wissenschaftsjournalistin setzt sich als Keynote Speakerin für ein neues Verständnis der menschlichen Arbeitskraft und eine gelungene Mensch- Maschine Kooperation ein.
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