Empathie – ein kognitiver Megatrend

Empathie gilt als Werkzeug schlechthin, um sich in einen anderen Menschen hineinzuversetzen. Aber – was ist Empathie und – ist sie wirklich immer gut für uns?

Kognitionsforscher unterscheiden zwei Arten von „Sich-Hineinversetzen“ Strategisches Hineindenken oder Mitfühlen?

Bei der Theorie, die „ToM“ (oder auch Mentalisieren) gennant wird und die Abkürzung für „Theory of Mind“ darstellt, gilt es als möglich, sich lediglich in einen anderen Menschen hinein zu denken – ohne sich empathisch einzufühlen. Damit ist das Denken über das Denken anderer gemeint – also Schlussfolgerungen darüber, was ein Gegenüber weiß, beabsichtigt oder wie wir es beeinflussen können.

So, wie ein Schachspieler versucht, die Züge des anderen voraus zu ahnen. Oder aber, wie ein Pokerspieler sein Gegenüber liest. Dies geschieht in der Regel ohne jede Empathie oder Mitgefühl.

Andere Gehirnregionen aktiv

Dieser gedankliche, statt emotionaler Perspektivenwechsel lässt sich bildlich im Hirnscan unterscheiden: Denkt der Pokerspieler sich in sein Gegenüber hinein, sind Regionen im Stirnhirn und präfrontalen Kortex beansprucht, während beim empathischen Mitgefühl vor allem die Inselrinde (Insula) sowie cingulärer Kortex aktiv sind.

Darüber hinaus, so die Kognitionsforscher, müsse die Empfindung der Empathie differenziert betrachtet werden. Es sollte nicht grundsätzlich mit dem liebevoll-aufopferndem Fühlen verwechselt werden, welches im Alltagsgebrauch häufig angewendet wird.

Bei gesunder Empathie geht vor allem darum, Gutes zu tun – ohne sich mit seinem Gegenüber zu identifizieren.

Dies gilt umso mehr in Heilberufen oder Altenpflege. Es gibt Hinweise, dass die emotionale Grenze zu Patienten hier besonders streng gezogen werden muss. Studien weisen darauf hin, das identifizierende Empathie negative Emotionen bei dem betreuenden Personal auslösen kann, distanziertes Wohlwollen hingegen eine grundsätzlich positive Einstellung mit sich bringt.

Warum helfen wir nicht ununterbrochen, wenngleich wir doch empathisch sind?

Wer in der Großstadt lebt, kennt es: Man begegnet täglich vielen Menschen. Unter diesen sind immer einige, die bedürftig wirken. Weil es unmöglich ist, auf seinem Weg durch die Stadt allen zu helfen, geraten wir regelmäßig in eine Art empathischen Stress. Dieser mindert unsere Hilfsbereitschaft im Alltag. Unser empathisches Empfinden ist überfordert und wir beginnen, das Gefühl der Mit-Verantwortung für die Bedürfnisse dieser Menschen strategisch auszublenden.

Empathisch abgelenkt vom Kern des Problems

Von der Annahme geleitet, dass Empathie sich sogar in ihr Gegenteil verkehren kann, veröffentlichte der Psychologe Paul Bloom 2016 sein Buch „Against Empathy“

Hierin beanstandet er die gängige Meinung, dass Empathie das Werkzeug schlechthin sei, welches die Welt vor Hass und Vorurteilen bewahren kann. Er führt aus, wie empathisches Mitgefühl zu irrationalen Entscheidungen führe, welche vielen Menschen mehr schade, statt ihnen zu helfen. Blooms grundsätzliche These ist, dass uns unser Mitgefühl blind dafür mache, wie wir wirklich helfen können.

Ein gutes Beispiel für seine Thesen lässt sich, wie ich finde, in der gängigen Flüchtlingspolitik Europas finden. Wir helfen aus einem – selbstverständlich berechtigten – Mitgefühl heraus den flüchtenden Menschen: Statt gegen Waffenlobby, Kriegsindustrie und eine Politik aufzubegehren, die Kriege weiter zulässt und sogar provoziert. Dabei ist allen klar, dass Flüchtlinge von eben diesen Voraussetzungen regelrecht produziert werden. An den Verhältnissen ändern wir mit unserer Empathie leider – nichts.

Dem Psychopathen ein Werkzeug – Empathie

Der Germanist und Kognitionsforscher Fritz Breithaupt geht noch einen Schritt weiter. Für ihn kann Empathie sogar regelrecht manipulativ sein.

Wer Empathie versteht, kann sie dazu einsetzen, Leute auf seine Seite zu ziehen. Donald Trump ist großartig darin, Empathie auf sich selber zu beziehen. Er kreiert eine Situation, die voller Spannung ist. Er inszeniert sich als „einer gegen alle“. (Fritz Breithaupt)

Bei seinen Überlegungen beruft sich Breithaupt auch auf Nietzsche, der erkennt, dass „Empathie zur Selbstlosigkeit führen kann, zum Selbstverlust, zur Selbstaufgabe.“ und damit nicht als grundsätzlich positive Emotion gelten sollte.

Empathie als Werkzeug

Mehr noch – Empathie kann zum Werkzeug des Bösen selbst werden. Denn nur durch sein empathisches Mitgefühl könne ein Sadist sich an den Leiden seiner Opfer ergötzen – eben, weil er sich in deren Schmerz einfühlen kann, argumentiert Breithaupt.

Er beobachtet in vielen Bereichen negative Konsequenzen des Lobes auf die Empathie. Menschen haben begonnen, in selbstgefälliger Weise andere Menschen regelrecht in eine Opferrolle zu degradieren, welche eigentlich eine Betrachtung auf Augenhöhe verdient hätten.

Empathie würde hier zum Mittel, sich über andere zu erheben. Diese Form der Empathie bereichere lediglich den Mitfühlenden selbst – Dieser fühlt sich wundervoll, in der Rolle des guten, gebenden und gerechten Menschen.

Balance aus sachlicher Betrachtung und Selbstkritik

Um ein empathisches Empfinden zu einem wertvollen sozialen Beitrag zu entwickeln, braucht es offensichtlich ein hohes Maß an Selbstreflexion.

Die Motivation für das eigene Mitfühlen muss – auch unter möglicherweise schmerzhafter Selbsterkenntnis – reflektiert werden. Darüber hinaus ist eine sachliche Betrachtung der Lage und der Möglichkeiten überhaupt helfen zu können, grundsätzlich zu prüfen.

Ich denke, dass wir dennoch weiterhin situativ spontan und emotional mitfühlen und helfen sollten. Es ist letztendlich unsere Fähigkeit, uns in andere Menschen hineinzufühlen und zu -denken, die uns das Gefühl von Geborgenheit und Aufgehobenheit in der sozialen Gemeinschaft gibt.

In einer mitfühlenden Welt geht es eben oft beiden Parteien besser.

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