Text und Illustrationen Susanne Gold
Heute bringen Arbeitnehmer die Bereitschaft, lebenslang zu lernen, mit an den Arbeitsplatz. Eine nicht endende Ausbildung, ein ewiges Studentendasein, das ist der Preis, den Karrieristen heute zahlen.
Nicht jedes neue Tool und jede neue Technik kann dabei während der Arbeitszeit erlernt werden. Das bedeutet, dass die Arbeitszeit immer weiter auch in die Freizeit hineinreicht. Die Trennung von freier Zeit und Arbeitszeit löst sich zunehmend auf und das wird durch das Arbeiten im Homeoffice noch verstärkt. Die klassische Kaminkarriere – also Phasen als Lehrling, Geselle und Meister bis hin zur Rente – hat ausgedient. Menschen bewegen sich heute in regelrechten Mosaiken von Karrieren, denn die Haltbarkeit neuen Wissens ist vergleichsweise kurz geworden ist.
Die digitale Transformation macht Arbeitnehmer:innen zu ewigen Student:innen
Sich fortwährend weiter zu bilden, in einer sich ständig und rasant wandelnden Arbeitsumgebung, das verlangt Menschen einiges ab. Permanentes Loslassen von Altem und Bekanntem und ein sich immer neues Einlassen auf unbekanntes Wissen und Techniken steht auf der Agenda. Phasen routinemäßiger Tätigkeiten gibt es kaum noch. Die Automatisierung ist nicht nur in den Fabriken angekommen, sondern bereits auch tief in der Wissensarbeit, wie im Journalismus und sogar in der Kunst, welches uns die neuesten Innovationen auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz jüngst bewusst gemacht haben.
Lern-und Verwandlungsbereitschaft gehören heute zu den wichtigsten Kompetenzen in allen beruflichen Sparten. Arbeitnehmer:innen bringen ihre gesamte Persönlichkeit, Kreativität und Innovationskraft in ihre Betriebe ein
Welchen Preis zahlen Unternehmen für die Anpassungsbereitschaft, Kreativität und Innovationskraft ihrer Mitarbeiter, mit Hilfe welcher sie der allgegenwärtigen Bedrohung der disruptiven Märkte die Stirn bieten wollen?
Ein hohes Gehalt und Status reicht in einer Arbeitswelt, in der die Bedeutung von Achtsamkeit und persönlicher Entfaltung immer wichtiger wird, nicht länger. Damit lassen sich Talente nicht mehr locken. Die Währung die Unternehmen bezahlen, läßt sich monetär nur schwer benennen, denn sie lautet das Ende der Austauschbarkeit.
Bislang war die Austauschbarkeit menschlicher Arbeitskraft und deren Fähigkeiten grundlegend. Die Ersetzbarkeit von Berufen und Tätigkeiten gehörte zum Überlebensprinzip großer Institutionen. Arbeitskräfte, die in einem bestimmten Bereich ausgebildet wurden, konnten auch in anderen Bereichen eingesetzt werden, ohne dass ihre Qualifikationen oder Fähigkeiten verloren gingen. Auf diese Weise war es Unternehmen möglich, flexibel und anpassungsfähig zu reagieren. Die Austauschbarkeit der Mitarbeiter war somit ein wichtiger Faktor im Hinblick auf die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit von Unternehmen und trug zu deren Fortbestehen bei.
In der Arbeitswelt von heute, in welcher Mitarbeiter keine Furcht vor neuem Wissen, stetiger Selbstreflexion, -erkenntnis und Reflexion haben dürfen, schwinden gleichzeitig die Möglichkeiten, diese Mitarbeiter:innen beliebig zu ersetzen. Austauschbare Positionen und Fähigkeiten wird es in den Betrieben von Morgen kaum noch geben. Falls doch, dann werden diese ebenfalls, dem Diktat der fortwährenden Effizienzsteigerung folgend, automatisiert.
Mitarbeiter:innen als schöpferische Unikate
Alles und Jedes ist, vor dem Hintergrund der sich rasch wandelnden disruptiven Märkte und der drohenden Konkurrenz, eine Herausforderung, die gemeistert werden will. Fehler haben Sinn – sie dienen dazu, aus ihnen zu lernen. Das Lernen und Scheitern der Belegschaft formt heute die Rollen des Betriebes. Kein Lebenslauf gleich länger dem anderen, keine Funktion bleibt auf diese Weise noch weiter ersetz- oder austauschbar.
Gleichbleibenden Tätigkeiten, in der Fabrik aber auch in den Wissensberufen der Büros, werden automatisiert. Der Digitale Companion, Kollege künstliche Intelligenz, wird künftig der einzige Mitarbeiter sein, der austauschbar bleibt. Unter dem Begriff Resilienz wird menschlichen Kollegen abverlangt, flexibel zu sein und Halt in sich selbst haben.
Viele Unternehmen sind sich dabei gar nicht bewusst, dass sie für die Automatisierung ihrer Prozesse noch eine unbekannte Rechnung zu begleichen haben
Zwar werden diese Unternehmen parallel zu den individuellen Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter:innen selbst effizienter und resistenter gegenüber den disruptiven Bewegungen der Märkte. Aber sie binden sich gleichzeitig auch mehr an ihre Mitarbeiter, werden abhängig von vorhandenen individuellen Expertisen in ihrem Unternehmen.
Abhängigkeit: Das Ende der Einbahnstraße
Werfen wir, zur Veranschaulichung, einen Blick auf eine große Gemeinschaft: Den Jesuiten-Orden. Jesuiten sollen in regelmäßigen Zyklen den Standort ihres Schaffens wechseln. Die Begründung dafür ist, dass jeder Jesuit sich fortwährend im Loslassen üben soll, um ausschließlich sich selbst und Gott verbunden zu bleiben. Dafür lässt er regelmäßig alle weltlichen Bindungen hinter sich und lebt eine Biographie der Wanderschaft, des Loslassens und der stetigen Umbrüche.
Die Wandelbarkeit des Einzelnen ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Es gehört es ebenso zur Überlebensstrategie großer religiöser Vereinigungen, dass ihre Mitglieder austauschbar bleiben. Eine Abhängigkeit von einzelnen Glaubensbrüdern stellt eine potenzielle Gefährdung ihrer Existenz dar. Glaubensbrüder regelmäßig an einen anderen Ort zu entsenden, dient folglich immer auch der Existenzsicherung großer Organisationen selbst.
Wenn heute alle austauschbaren Positionen großer wirtschaftlicher Organisationen automatisiert werden, ist die Nicht-Austauschbarkeit der verbleibenden kreativ schaffenden Arbeitnehmer:innen der Preis dieser Effizienzsteigerung
Bislang konnten und durften Unternehmen nicht von einzelnen Personen abhängig werden, doch mit der fortschreitenden Automatisierung ganzer Berufszweige und Tätigkeiten, die dem Leistungsprinzip Höher, Weiter und Schneller und der Gewinnmaximierung dienen, werden Konzerne den Preis der Abhängigkeit zahlen.
Das Ende alter Herrschaftsverhältnisse
Die Arbeitnehmer von Morgem werden sich aussuchen, wer sie sind, was sie tun und niemand wird es sonst tun. Sie übernehmen das Zepter – nicht nur für die Zeit und den Ort ihrer Arbeit, sondern auch für die Rolle, die sie wählen. Der Fachkräftemangel der westlichen Welt darf hier als Vorgeschmack für das begriffen werden, was noch folgen wird.
In der Welt der Arbeit von Morgen betreten auch Unternehmen Neuland. Ihre Deutungshoheit und Macht bröckelt und sie stehen selbst vor der Lernaufgabe, Führung neu zu definieren und alte Strategien über Bord werfen. Sie selbst müssen neue und andere Wege der Resilienz finden.
Auch sie müssen Loslassen und sich erneuern, während sie ihre Routinearbeiten automatisieren.