Der Tod: Ist die letzte Grenze überwindbar?

Text Susanne Gold Illustration Cocreation Susanne Gold und die künstlichen Intelligenzen „Dall-e“ und „Dream“

Unsere Welt ist im rasanten Wandel. Grenzen lösen sich auf und verschwimmen. Wenn wir danach fragen, wodurch „wird sich alles verändern“, dann stellen wir genau genommen die Frage im falschen Tempus. Es müsste heißen „wodurch verändert sich gerade alles?“

Unsere Vorstellung davon, was es bedeutet, ein Mensch zu sein, befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel und auch unsere Vorstellung über den Tod verändert sich dadurch.

Wir ringen heute nach einer Neudefinition unseres Daseins und das wird sicher weitreichende Auswirkungen auf unsere Zukunft haben. Das neue Verständnis unserer Existenz begann bereits im 19. Jahrhundert, als Charles Darwin uns die Wahrheit über die Geschichte der Menschen enthüllte und mit diesem Wissen eine neue Gestalt im Spiegel erschien: Seit dieser Zeit sind wir nicht länger das Produkt göttlicher Planung, sondern die Ahnen von Würmern – nicht mehr als das Ergebnis einer Aneinanderreihung von Zufällen und Auslese.

Doch von unserer einstigen göttlichen Sonderstellung können wir schwer ablassen: Immer noch begreifen wir uns am liebsten als das Endprodukt der Evolution, als die Krönung der Auslese. Wenn schon nicht göttlich, dann wenigstens die Krönung.

Doch, wenn wir unsere Herkunft genauer betrachten – wie wahrscheinlich ist es, dass wir die Spitze der Evolution darstellen? Wir ringen um eine neue Sichtweise von selbst, dem Homo-Sapiens und bleiben uns dabei selbst so unbekannt wie das Universum, welches uns umgibt. Trotz allen Fortschritts gibt es viele Vermutungen und kaum Gewissheiten darüber, woher wir kommen, wohin wir gehen und wer wir eigentlich sind.

Uns als ein Teil des Ganzen und nicht als deren Krönung zu begreifen, birgt große Möglichkeiten

Wenn wir uns konsequent die Sichtweise der Evolution zu eigen machen, ermöglicht uns das, den Wert anderer biologische Arten zu erkennen und unseren Platz im Gesamtgefüge besser einzuschätzen. Womöglich kämen wir der Krönung der Evolution und damit auch den Göttern näher, wenn wir begännen, unsere Umwelt als unsere Heimat und nicht länger ausschließlich als unsere Ressource zu begreifen und die darin befindlichen anderen Lebensformen nicht länger als unsere Sklaven.

Die einzige Gewissheit, die wir bislang haben, ist unser aller Tod

Doch den wollen wir nicht akzeptieren. Unsere Endlichkeit soll uns keine Grenze mehr sein. Mit Hilfe der Entwicklungsbiologie versuchen Forscher heute, das Gewebe des Menschen umzuprogrammieren und neue Möglichkeiten für Reparatur und generelle Regeneration zu finden. Es sollen Hilfsmittel erschaffen werden, welche unsere äußere Form gestalten können.

Geschädigte Organismen sollen nicht länger Grund dafür sein, unser Leben zu beenden. Die Entwicklungsbiologie soll uns vollständig aus den Begrenzungen unserer festgelegten Form befreien. Getreu unserem industriellen Wachstumsdenken wollen wir auch unsere Körper optimieren. Wenn wir heute davon sprechen „in Würde alt zu werden“ meinen wir damit meistens, dabei möglichst jung auszusehen. Zu selten stellen wir uns aufrichtig die Frage danach, was ein würdiges Sein und ein würdiges Altern eigentlich ist?

Unser Geist wird ebenfalls optimiert

Unser Geist ist offenbar ein Produkt unseres Gehirns. Oder vielleicht doch nicht? Möglicherweise entstehen die Gefühle, die unseren Gedanken beeinflussen, in unserem Darm? Das wissen wir nicht genau. Auch, wie unser materieller Körper in der Lage ist, eine immaterielle Seele hervorzubringen, ist uns immer noch ein vollkommenes Rätsel. Die alten Vorstellung unserer Seele passen nicht so recht in unsere neue Welt: Das muss ergründet werden.

Die Forschung im Bereich der Neurowissenschaften wurde durch das Aufkommen großer Datenberge und einer dadurch immer schlauer werdender künstlicher Intelligenz eine ganz neue Bedeutung zuteil. Denn wie können wir die künstliche Intelligenz unserem Verstand gleich machen, wenn wir diesen doch selbst gar nicht verstehen? Die Entstehung unseres Bewusstseins ist uns immer noch so unbekannt wie das Universum, welches uns umgibt.

Bis heute ist ungewiss, was unser Bewusstsein ausmacht und wie es zu den Gedanken und Gefühlen kommt, die uns eine Identität verleihen. Schlicht, die Variablen, die uns eben zu jener Person werden lassen, die wir sind.

Dabei sind die einstigen Vorstellungen über die Zeit nach dem Tod und ein Leben danach offenbar eine menschliche Konstante. Denn eine Existenz nach dem Tod, welche mit unserer Identität verflochten ist, ist Bestandteil jeder menschlichen Kultur – sogar historisch betrachtet. Zu jeder Zeit und in jeder Kultur gab es Vorstellungen von einem Jenseits. Mag sein, dass wir unsere Endlichkeit lediglich nicht ertragen können. Es mag aber auch sein, dass wir eine göttliche Ahnung haben. Wir werden es nicht sicher klären können – zumindest nicht im Diesseits. Im Leben ist das einzige Tor eines jeden Menschen zum Jenseits seine Fantasie, genährt von Hoffnungen und Befürchtungen, welche sich gerne als unerschütterlicher Glaube manifestiert.

Die Digitalisierung bringt weitere Konzepte zur Überwindung des Todes hervor

Jüngst ermöglichte eine KI es einer toten Frau, mit Menschen zu sprechen, die bei ihrer Beerdigung anwesend waren. Marina Smith, eine 87-jährige Frau, die im Juni verstorben war, konnte sich anlässlich ihrer eigenen Beerdigung mithilfe künstlicher Intelligenz an die Trauernden wenden.

Die Frau konnte die Gäste der Beerdigung mit einer „holographischen Video Konversation“ überraschen, welche von einem StartUp storyFile entwickelt wurde. Die Bemühungen dieses Startups lassen sich stellvertretend für den Vorstoß des Silicon Valley verstehen, welches die Toten mit der Kraft des maschinellen Lernens zurück in die Gesellschaft bringen will. Anfang des Jahres zeigte der Technologie-Gigant Amazon beispielsweise eine neue Funktion seines intelligenten Lautsprechers Alexa, mit welchem die Stimme einer verstorbenen Großmutter einem Kind eine Geschichte vorliest.

Selbstverständlich handelt es sich dabei immer nur um Simulationen von verstorbenen Menschen. Auch die beste Technologie ist heute nicht in der Lage, den Tod zu überwinden.

Ich stelle mir ernsthaft die Frage, wie sich solche Simulationen auf den Abschied der Überlebenden und die Phasen der Trauer auswirken werden. Auf das Verständnis unserer Endlichkeit? Und damit zwangsläufig auch auf das Verständnis unseres Dasein.

Es steht wohl fest, dass wir nicht die Krönung unseres Gesamtsystems zu sein scheinen und die Evolution weitergehen wird – möglicherweise auch ohne uns. In vielen Bereichen der Forschung wird zusätzlich zur natürlichen Entwicklung daran gearbeitet, diese in rasantem Maße technologisch voranzutreiben. Die Transhumanisten träumen davon, mithilfe von Technik über alle Grenzen hinauszuwachsen. Wie unser Körper und unser Geist in Zukunft aussehen wird, bleibt abzuwarten. Ich wünsche mir, dass wir den Kontext, in welchem wir uns befinden, bei allen Optimierungsversuchen nicht vergessen. Wir sind ein Teil des Ganzen. Ohne Referenz sind wir Nichts.

Ganz klar, dass wir heute unseren neuen Platz im Universum zu suchen und neu zu definieren haben.

Dafür brauchen wir einerseits eine neue Sichtweise auf uns selbst, die nicht durch falsche Behauptung oder vereinfachte Mythen belastet ist. Andererseits ein neues Verständnis für die Lebensformen, die uns umgeben und wie wir mit ihnen umgehen.

Das ist die größte Herausforderung für uns: Die Veränderung unseres universellen Kontextes und anderer Lebensformen darin: Ein Konsens darüber, wie wir unser Dasein und der Art, wie wir uns, unsere Umwelt und unsere Sterblichkeit begreifen und handhaben wollen.

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