Ein Mann mit zwei Gesichtern.

Wie verändert uns Macht? Ein Blick in das Phänomen, das unsere Welt formt

Die mächtigen Kriegstreiber unserer Gegenwart lassen uns oft  verwundert fragen, warum mächtige Menschen so menschenverachtende Dinge tun. Gibt es dafür eine wissenschaftliche Erklärung? Wie verändern sich Menschen durch Einfluss oder Berühmtheit? Werden sie distanziert, weniger freundlich und weniger einfühlsam gegenüber ihren Mitmenschen? Oder kommen lediglich Seiten von ihnen zum Vorschein, die bereits vorher existierten? In dem Bemühen, Antworten zu finden, erforschten bereits Denker und Denkerinnen vieler Disziplinen und Epochen die menschlichen Emotionen. Die Ergebnisse der bisherigen Forschungen belegen, dass Menschen in Machtpositionen dazu neigen, weniger emphatisch zu sein und eher risikoreiche Entscheidungen zu treffen. Oft haben mächtige Menschen sogar eine verzerrte Wahrnehmung der Realität und fühlen sich anderen gegenüber nicht verantwortlich.

Von der Antike bis zur KI: Wir sind uns selbst ein Paradoxon

Die wissenschaftliche Vermessung von Gefühlen blickt auf eine lange Tradition zurück. Schon die alten Griechen haben versucht, die Vielfalt unserer Emotionen zu ergründen. Diese Bemühungen reichen bis in unsere heutige Zeit und in die verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, wie die Natur- Sozial und Geisteswissenschaften. Die Digitalisierung hat der Emotionsforschung viele neue Möglichkeiten geschaffen. 

Besonders Paul Ekman, ein US-amerikanischer Psychologe hat die Erforschung der nonverbalen Kommunikation in unserer jüngeren Vergangenheit vorangetrieben. Ekman geht von sieben angeborenen Basisemotionen aus, welche zu allen Zeiten und allen Kulturen gelten, also universelle Gültigkeit haben. Im Rahmen seiner wissenschaftlichen Tätigkeit klassifizierte er Emotionen und welche Gesichtsausdrücke sie auslösen und entwickelte so das Action Coding System (FACS) 

Moderne Techniken, wie „Face Tracking“ ermöglichen die Messung sogenannter Mikroexpressionen, also minimaler Gefühlsausdrücke im Gesicht der Menschen. Große Tech-Giganten forschen mittlerweile an digitalen Assistenten, die in der Lage sind, Emotionen nicht nur zu erkennen, sondern diese auch zu imitieren. 

Eine besondere wissenschaftliche Interesse aber richtet sich seit jeher die Verbindung von Macht und Emotionen.  

Die Psychologie der Macht

Einige Psychologen argumentieren, dass mächtige Menschen einfach zu beschäftigt sind, um sich um weniger mächtigen Zeitgenossen zu kümmern. Aber die Forschung von Sukhvinder Obhi, einem Neurowissenschaftler an der Wilfrid Laurier University in Ontario, Kanada, wirft ein neues Licht auf das Macht Phänomen: Nach dieser Studie verändert Macht tatsächlich die Funktionsweise unseres Gehirns.

Macht mindert Empathie: Einblicke in das Spiegelsystem des Gehirns

In der Studie von Obhi und seinen Kollegen wurden die Teilnehmer zufällig ausgewählt, um sich entweder mächtig oder machtlos zu fühlen. Während sie ein Video einer Hand ansahen, welche wiederholt einen Gummiball drückte, wurde ihre Gehirnaktivität gemessen, insbesondere im Spiegelsystem des Gehirns – einem Bereich, der mit Empathie in Verbindung steht.

Das Spiegelsystem wird aktiviert, wenn wir eine Handlung ausführen oder beobachten, wie jemand anderes eine Handlung ausführt, und ermöglicht es uns, uns in die Lage eines anderen zu versetzen. Die Studie fand heraus, dass sich das Spiegelsystem bei machtlosen Personen stärker aktivierte als bei mächtigen Personen, was darauf hinweist, dass Macht die Fähigkeit zur Empathie tatsächlich verringern kann.

Macht und Empathieverlust

Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass Menschen, die sich mächtig fühlen, Schwierigkeiten haben, sich in andere hineinzuversetzen. Der Sozialpsychologe  Dacher Keltner bestätigt diesen Befund und betont, dass Macht unsere Fähigkeit, unser Verhalten an das Verhalten anderer anzupassen, beeinträchtigt. 

Oftmals ist es uns ein Rätsel, warum sich Menschen derart wandeln, sobald sie an Macht gewinnen

Keltner selbst – einst Schüler von Paul Ekman, beschäftigte sich intensiv mit  Macht und Mitgefühl und prägte seinerseits den Begriff des „Macht-Paradoxons“, welcher besagt, dass uns schon kleine Anzeichen von Macht erheblich verändern können und dazu führen, dass wir diese Macht für eigene Wünsche und Träume missbrauchen. 

Unsere edelsten Ideale sterben also gerade dann, wenn wir sie verwirklichen könnten, nämlich, sobald wir die Zügel der Macht ergreifen, und schon schwebt das Damoklesschwert des Machtverlusts über uns.

Ist keine „Macht für Niemand“ tatsächlich der Weg zum universellen Mitgefühl?

Es gibt Anzeichen dafür, dass mächtige Menschen, die ihre Empathiefähigkeit verloren haben, wieder zu ihrem mitfühlenden Selbst zurückgeführt werden können. Neue Forschungen deuten darauf hin, dass durch gezielte Interventionen und Trainings die Empathiefähigkeit wiederhergestellt werden kann, auch bei denen, die in Machtpositionen sind. 

In den Fällen, in denen diese Bemühungen jedoch keine Früchte tragen und die Macht weiterhin missbraucht wird, ist es also durchaus legitim, aktiv Widerstand zu leisten und eine Revolution zu starten, um die Unterdrückung und den Machtmissbrauch zu beenden.

Zwischen Macht und Mitgefühl: Der Weg zu einer einfühlsamen Führungsrolle

Die Beziehung zwischen Macht und Empathie ist komplex und erfordert weitere Forschung. Doch die bisherigen Erkenntnisse betonen die Wichtigkeit, auch in Positionen der Macht mitfühlend und einfühlsam zu bleiben, und bieten Hoffnung, dass Empathie wiederhergestellt werden kann, auch wenn sie verloren gegangen ist.

Ein bewusster Umgang mit Macht und ein Verständnis der Auswirkungen auf unsere Empathiefähigkeit sind entscheidend, um effektive, mitfühlende und erfolgreiche Führungspersönlichkeiten zu fördern, die nicht nur ihre eigene Position stärken, sondern auch zum Wohlergehen aller beitragen.

Frauen, Macht und Empathie: Ein neuer Blickwinkel

In der Gesellschaft sind Frauen oft als besonders empathisch bekannt, und diese ausgeprägte Fähigkeit zum Mitgefühl wird oft als ein Grund angeführt, warum sie in der oberen Hierarchie weniger vertreten sind. 

Doch gerade die Annahme, Frauen hätten sich aufgrund ihrer Empathie weniger durchsetzen können, wird durch die neuen Erkenntnisse nun infrage gestellt. 

Könnte es nicht auch sein, dass Frauen mehr Empathie zeigen, gerade weil sie seltener in Machtpositionen sind, in einer Welt, die noch immer weitgehend von Männern dominiert wird? Diese Perspektive vermag auch zu erklären, warum es historisch mächtige Frauen gab, die sich als wenig mitfühlend erwiesen haben. 

Macht und Empathie stehen in einer komplexen Beziehung zueinander, und es ist entscheidend, diese Dynamik weiter zu erforschen und zu verstehen. 

Es ist ein notwendiger Schritt, um Barrieren abzubauen und mehr Frauen den Zugang zu Führungspositionen zu ermöglichen, ohne dass sie ihre Empathie aufgeben. 

Zugleich unterstreicht es die Bedeutung der Entwicklung von Führungskräften, die sowohl mächtig als auch empathisch sind, unabhängig vom Geschlecht. 

Ein tieferes Verständnis dieser Dynamik könnte nicht nur den Frauen, sondern der gesamten Gesellschaft zugutekommen

Den Kriegstreibern unserer Zeit wird wohl kein Empathietraining mehr helfen.

Ihre Entmachtung ist für mich das einzige Gebot der Stunde. 

 

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