🇺🇸 here / Es gibt Momente, in denen wir von einer angenehmen Wehmut überwältigt werden. Vielleicht blicken wir aus dem Fenster und sehen den Sonnenuntergang und erinnern uns an vergangene perfekte Sommertage oder denken zurück an eine Zeit, als wir noch jung waren oder an Menschen, die uns einst nahestanden.
Nostalgie – ein individuelles Gefühl wurde durch die Digitalisierung zum gesellschaftlichen Phänomen
Die Sehnsucht nach der Vergangenheit ist in der heutigen Zeit allgegenwärtig. Viele Menschen empfinden eine mangelnde Verbindung zu anderen und sehen den gesellschaftlichen Zusammenhang bröckeln, während der technische Fortschritt und Konsum unaufhaltsam voranschreitet. Der Soziologe Zygmunt Bauman nennt diese Sehnsucht nach alten Zeiten „Retrotopia“, das Vergangene wird wie eine Utopie idealisiert. Grund dafür ist für Rosa die aktuelle Lage der Instabilität, Unsicherheit und Fragmentierung, in welcher Menschen vermehrt nach Sicherheit und Kontrolle suchen.
Mangelnde Verbundenheit durch den entfesselten Kapitalismus
Laut Rosa hängen erfüllte Existenz und harmonische Beziehungen mit unserer Fähigkeit zur Resonanz zusammen, die durch körperliches und emotionales Mitschwingen mit unserer Umwelt und unseren Mitmenschen entsteht. Heute befinden wir uns seiner Ansicht nach in einer Resonanzkrise, die ihre Wurzeln in dem kapitalistischen Wachstumsstreben hat, welches dem Prinzip der Konkurrenz statt dem des Miteinanders folgt. Die Bewältigung der aktuellen Krisen erfordere daher zunächst eine Überwindung der Wachstumslogik, folgert er.
Auf dem Weg zum Postkapitalismus: Neue Technologien als Treiber einer Zukunft ohne wirtschaftliche Wachstumslogik?
Obwohl es offensichtlich ist, dass man in der virtuellen Welt seine physischen Sinne nur eingeschränkt nutzen kann und somit auch die physischen Verbindungen mit der Welt, den Menschen und Dingen in ihr begrenzt sind, gibt es dennoch Technologien, die eine völlig neue Art der Verbindungen ermöglichen. Gerade im Hinblick auf die Idee des Postkapitalismus könnten erstaunlicherweise die technologischen Produkte der Wirtschaft helfen, ihre eigene Wachstumslogik zu überwinden.
Minimalismus: Das Paradoxon eines postkapitalistischen Trends, ermöglicht durch kapitalistische Produkte.
Durch den Einfluss neuer Technologien haben sich einige Lebensmodelle bereits grundlegend verändert. Ein Beispiel hierfür ist die Minimalismus-Bewegung, die sich erst durch die Möglichkeit der virtuellen Welt entwickelt hat. Durch das Lesen von Büchern auf einem Tablet oder das Online-Streaming von Musik braucht man heute weniger materielle Güter wie einst. Faxgeräte, Plattenspieler oder Videogeräte gibt es kaum noch. Das Leben in einem Tiny Home und die Selbstbezeichnung als Minimalist:in wäre noch vor wenigen Jahrzehnten mit erheblichem Wohlstandsverzicht verbunden, heute hingegen kann man beides ohne größere Einschränkungen haben. Die neuen Technologien ermöglichen Wohlstand und Ressourcenschonung zugleich, da viele Gegenstände in die virtuelle Welt verlagert wurden. Doch nicht nur unser Konsum hat sich verändert, sondern auch die Art wie wir miteinander umgehen.
Virtuelle Verbindungen und Zugehörigkeitsgefühl: Wie die Technologie unsere sozialen Beziehungen verändert haben
Früher lebten wir in überschaubaren Gruppen und waren von direkter Kommunikation abhängig. Heute müssen wir uns durch neue Technologien mit Millionen von Menschen auseinandersetzen, was ein höheres Maß an innerer Differenzierung erfordert. Die Entstehung des heute inflationär aufkommenden Berufes des „Coach“ ist nur eines der Ergebnisse dieser Veränderungen.
Gemeinsam statt gegeneinander? Co-Creation in der Wirtschaft
Co-Creation bedeutet Zusammenarbeit und ist aktuell ein echtes Buzzword der neuen Wirtschaft. Es geht darum, gemeinsam in diversen Gruppen Prozesse und Ergebnisse zu erzielen. Folgt man der eigentlichen der Idee der Co-Creation ist es wichtig, dass die Zusammenarbeit ergebnisoffen bleibt. In der Wirtschaft wird jedoch ausnahmslos erwartet, dass die Zusammenarbeit dem alten und linearen Prinzip der Konkurrenzfähigkeit sowie der Gewinnmaximierung dient. Das passt aber nicht zu einer Idee, die vor allem auf Teilen und Schenken beruht. Co-Creation ist keine neue Alternative für die alte Wirtschaftsordnung der Konkurrenz. Wenn wir morgen in einer besseren Welt aufwachen wollen, muss die Wirtschaft sich selbst neu erfinden und nicht nur ihre Methoden ändern.
Wirtschaft und Technologie als Katalysator der Meditation- und Achtsamkeitsbewegung.
Die Meditation, früher Mittel religiöser Rituale und Spiritualität, ist heute in der Mitte der Gesellschaft angekommen, da immer mehr Menschen sie als Ausgleich zum hektischen Alltag sowie ihrer digitalen Existenz nutzen.
Um in der Schnittmenge der realen und digitalisierten Welt erfolgreich zu sein, benötigt man die Fähigkeit, gelegentlich offline zu gehen und achtsam mit sich selbst und seinen Ressourcen umzugehen.
Unternehmen nutzen heute Achtsamkeitspraktiken, um die Resilienz ihrer Mitarbeiter zu fördern, doch es steht zu befürchten, dass diese zur bloßen Leistungssteigerung der Mitarbeiter missbraucht werden, um auf den globalen Märkten wettbewerbsfähig zu bleiben. Es ist wohl kaum zu erwarten, dass die Wirtschaft selbst uns in ein postkapitalistisches System führen wird.
Der Ausweg aus den Krisen unserer Zeit kann und muss über die Gesellschaft selbst erfolgen.
„Gesellschaft über Wirtschaft, gemeinsam statt gegeneinander“ scheint die Lösung gegen die allgegenwärtige Nostalgie der Menschen zu sein.
Das nicht mehr ganz neue Konzept des globalen bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) bietet womöglich einen echten Ausweg aus der Nostalgie und dem Konkurrenzdiktat des entfesselten Kapitalismus.
Die Idee, allen Menschen eine regelmäßige finanzielle Unterstützung zur Sicherung ihrer Existenz unabhängig von ihrer Arbeit zu bieten, hat das Potential, den Menschen zu helfen, ihre Identität neu zu definieren und die Innovationskraft ganzer Nationen stärken.
Laut Statista besaß Ende 2020 1,2 Prozent der reichen Weltbevölkerung rund 47,8 Prozent des weltweiten Vermögens. Angesichts dieser Ungleichheit ist es kaum verwunderlich, dass sich 98,8 Prozent der Bevölkerung damit nicht wohl fühlen
Die Frage, warum diese 1,2 Prozent der Weltbevölkerung trotz ihres bereits beträchtlichen Eigentums nach noch mehr Profit streben, bleibt unbeantwortet. Doch es besteht kein Zweifel daran, dass die Zukunft der gesamten Weltbevölkerung gefährdet ist, wenn wir nicht gemeinsam von unserem entfesselten Konsum abrücken. Die Ausbeutung von Menschen, Tieren und Ressourcen müssen in dieser digitalen Industrieära ein Ende finden, um das Überleben unserer Spezies zu sichern. Andernfalls wird die Menschheit selbst ihr eigenes Ende herbeiführen.
Doch anstatt selbst aktiv zu werden, scheinen viele darauf zu warten, dass die winzige Minderheit von nur 1,2 Prozent der Bevölkerung das System verändert
Es ist an der Zeit, dass wir uns bewusst machen, dass Veränderung von uns allen ausgehen muss und wir uns nicht allein auf eine kleine Elite verlassen können, die offenbar keinen Zwang empfindet, etwas zu tun. Im Gegenteil sogar: Laut einem Bericht von Oxfam „Confronting Carbon Inequality“ sind gerade die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung für über die Hälfte der Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Die Reichsten ein Prozent schädigen das Klima sogar mehr als die ärmsten 50 Prozent. Ihr Verbrauch hängt mit Luxusgütern wie Autos, Flügen und Fleisch zusammen. Sie handeln seltsamerweise so, als werden sie alle demnächst zusammen mit Elon Musk auf den Mars auswandern.
Und für die 99 Prozent der Menschen, die auf der Erde bleiben werden, sollten wir den Klimawandel in den Griff bekommen. – Friday for Future, USA 2021
Eine globale Wirtschaft, die auf Stabilität statt Wachstum ausgerichtet ist, und eine Gesellschaft, die die Existenzsicherung der Arbeitnehmer:innen durch ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) gewährleistet, könnten einen Ausweg aus der aktuellen (Sinn-) Krise bieten.
Obwohl es kontroverse Diskussionen darüber gibt, ob das BGE tatsächlich ein Weg zum Postkapitalismus ist, gibt es derzeit keine bessere Alternative, um den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen. In einer Sache sind sich Glücksforscher:innen einig, desto mehr Menschen über eine gesicherte Existenz verfügen, desto weniger kriegerisch werden sie sein.
Es ist also an der Zeit, dass wir uns auf neue Lösungen wie ein weltweites BGE und eine ressourcenschonende globale Wirtschaft konzentrieren, welche das Potential haben, die Welt, in der wir leben, zu einem friedlichen Ort und unsere Zukunft nachhaltig lebenswert zu machen.
Indem wir uns auf zukunftsweisende Ideen konzentrieren statt kollektiv in Nostalgie zu verfallen, können wir vielleicht unsere Utopie von einer lebenswerten Welt in der Zukunft statt in der Vergangenheit finden.
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