Text: Paula Kiessling
Vision 2030 – eine Zukunft, in der wir Menschen virtuelle Kleidung für uns erobert haben werden. Inzwischen gibt es digitale Modehäuser und die großen Modelabels haben längst das Metaversum (MV) der digitalen Markenwelt für sich entdeckt. Wie wird sich Mode im Metaverse entwickeln?
Die angehende Modejournalistin Paula Kiessling (PK) führt über diese Frage ein Gespräch mit dem Cyber Security Experten Jean-Claude Kiessling (JCK).
DER HYBRID AUS DIGITALER UND REALER MODEWELT ALS ZUKUNFTSSZENARIO
Hyperpersonalisierte Produkte und künstliche Intelligenz (KI) basiertes Marketing sind unentbehrlich geworden. Auch
sogenannte NFT’s (Non-Fungible Tokens) sind in den Markt eingeführt worden. Diese elektronische Echtzeitzertifikate belegen, dass ein digitales Produkt ein Original ist. Es ist eine Art Kassenbon, der auf einer weltweiten Datenliste in der Blockchain eingetragen wird. Durch diesen Fortschritt können nun die individuellen Kollektionen von Labels fälschungssicher gemacht werden. Kunden abonnieren und kaufen reale Modeprodukte im sogenannten „glokalisierten“ Handel für sich ein. Sie können die Mode haptisch berühren und personalisiert am eigenen Körper tragen – oder gleichzeitig bei einem hybriden oder digitalen Event dieselbe Kleidung ihrem digitalen Zwilling (Avatar) verpassen.
PK: Jean-Claude, Sie sind Cyber Security Experte bei der Deutschen Telekom. Wie hängt die Telekom mit dem Metaverse und der Modebranche zusammen?
JCK: Das MV ist ein großer Schritt in die digitale Zukunft der Modebranche, ergänzt um künftig immer mehr virtuelle Produkte. Digitale Telefongesellschaften bieten mit ihren Netzen ein wesentliches Kommunikationselement und leisten somit eine der technischen Grundlagen für das MV. Das betrifft auch die Clouds der Tech-Giganten, wie Google, Amazon oder Facebook. Digitale Kommunikationsnetze sind die Straßen, auf denen Daten reisen. Das MV ist eine neue Dimension digitaler Interaktion. Wie groß und bedeutend dieser Schritt ist; wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der CEO Mark Zuckerberg Facebook in Meta nicht nur umbenannt hat, sondern Meta völlig neu auf das MV als DAS Zentrum des künftigen Geschäftsinhaltes seiner Firma ausrichtet.
Jean-Claude Kiessling, Deutsche Telekom Security GmbH
PK: Das Metaverse – was ist das eigentlich?
JCK: Einfach gesagt, ist das MV ein virtueller Raum, in dem die Menschen mithilfe von Virtual-Reality-Technologien als Avatare miteinander interagieren können. Es ist eine Verbindung zwischen physischer Realität und virtueller Welten. Es ist ein digitaler Raum, in dem auch neue virtuelle Produkte geschaffen und vermarktet, Transaktionen und Geschäfte abgewickelt werden und Dialoge mit sogenannten Bots über Apps ausgetauscht werden können.
PK: Was war die Ursprungsidee des MV und wohin wird es sich entwickeln?
JCK: Der Begriff des MV ist schon über 30 Jahre alt. Damals waren es noch Science-Fiction Bücher wie beispielsweise „Snowcrash“ von Neal Stephenson. Da laufen Avatars in einer Art globalen, virtuellen Realität herum. Einige dieser ursprünglichen Visionen werden inzwischen in digitalen Anwendungen, wie in Spielen oder auch in der interaktiven, digitalen Schulung zu Fachthemen in der Gesellschaft genutzt.
DIE ZUKUNFT DER MODEBRANCHE
PK: Reden wir über Mode. Welchen Einfluss hat das MV auf die Modebranche?
JCK: Das MV revolutioniert die Modebranche gleich in mehrfacher Hinsicht: Handel, Produktion, Lieferketten, Nachhaltig- und Wirtschaftlichkeit. Der glokalisierte Handel – also eine verbundene Ebene aus „think global, act local“ – wird durch digitale Personalisierung von Produkten wesentlich die Markenbindung steigern.
PK: Habe ich das richtig verstanden, glokalisierter, nicht globalisierter Handel?
JCK [lacht]: Ja, die Frage kommt immer wieder, glokalisiert ist ein Neologismus, eingeführt aus der Soziologie. Es beschreibt die Auswirkung globaler Effekte auf die regionale Ebene und ihrer Zusammenhänge. Das betrifft auch das Kauferlebnis sowohl im E-Commerce bei der online Bestellung als auch im Ladenlokal, dem sogenannten Point-of-sale (POS=Verkaufsort). Mobile Apps und Micro-Fulfillment, also eine extrem schnelle Warenzustellung durch kürzeste Lieferwege, werden Mode am POS völlig neu erlebbar machen. Das MV ist ein wesentlicher Teil der digitalen Modezukunft.
PK: Was sind die Vorteile einer hybriden Modewelt?
JCK: Die digitalisierte Absatzwirtschaft bekommt Aufwind, sie steigert die Effizienz entlang der gesamten Produktionskette und steuert in Echtzeit die vernetzte Logistik. Vor allem aber wird sich das MV etablieren, um die, aufgrund der Umweltverschmutzung, dringend notwendige Revolutionierung der Produktion zu schaffen und somit Nachhaltigkeitsziele, wie der nachhaltige Konsum und Produktion, auch wirklich zu erreichen.
PK: Hat das MV Auswirkungen darauf, wie Mode präsentiert wird und sich Modelabels darstellen?
JCK: Die Präsentationen von Fashion-Shows werden sich im MV in eine neue Dimension entwickeln. Erstmals 2022 musste die Fashion-Week pandemiebedingt wesentlich über die sogenannte MVFW (Metaverse Fashion Week) Plattform Decentraland virtuell stattfinden.
PK: Ist die virtuelle Fashion Week gut angenommen worden?
JCK: Ja, das war ein zukunftsweisender Erfolg! Über 100.000 Sogenannte „unique Attendees“, also zweifelsfrei identifizierte Besucher, haben daran teilgenommen. 70 Fashion Shows und viele erste Auftritte von Modemarken in Präsenz vor Ort und virtuell haben sich dem Markt auch virtuell präsentiert. Top-Labels zeigten, häufig in limitierter Auflage, erste NFT-Produkte, die Mode auch mit Gaming kombinierbar machen, das macht beispielsweise Burberry. Andere Marken wie Louis Vitton, Gucci und Karl Lagerfeld etablierten digitale Spiele oder sogar digitale, mit dem Markenlabel verbundene Kunst. Im MV kommen also nun neu virtuelle Güter in der Modebranche hinzu und immer mehr Modelabels nutzen das, um sich noch individueller für den Kunden darzustellen. Digitale Produkte, für die eine
Zahlungsbereitschaft entsteht, lassen neue Umsatzquellen für Markenhersteller erschließbar werden. Auch die Differenzierung des jeweiligen Labels durch digitale Personalisierung wird völlig neu ermöglicht.
(Quelle: https://mvfw.everyrealm.com/)
EINE REVOLUTION DES EINKAUFSERLEBNISSES IN DER MODEBRANCHE
PK: Wie verändert sich das Einkaufserlebnis?
JCK: Es entsteht die Möglichkeit, ein personalisiertes und präferenzbasiertes Einkaufserlebnis zu schaffen. Sog. Loyalty-Programme (Kundenbindungsprogramme), bis hin zu Bezahlungsabwicklung werden in ein neues Erlebnis übergehen. Wiederkehrende Kunde und ihre Präferenzen sind dem Verkäufer dann bekannt. So können passende, ergänzende Produkte kundenspezifisch und personalisiert angeboten werden. Der persönliche Avatar könnte als digitaler Klon bereits vollständige Outfits oder passende Accessoires zu bestehenden Lieblingskleidungsstücken virtuell darstellen und so den Bedarf an neuen Ergänzungsangeboten gezielt wecken und fördern.
PK: Was bedeutet das für die Bezahlvorgängen?
JCK: Der Bezahlvorgang im realen Laden könnte für bekannte, loyale Kunden – denkbar sind Premium-Kunden mit guter Bonität – im Geschäft vollständig entfallen und die Abbuchung automatisiert in die Cloud verlegt werden. Digitalisierte Kundenbindung ermöglicht auch die Steigerung bis Ausschöpfung des sogenannten „share-of-wallet“.
PK: Was ist das, ein „share-of-wallet“?
JCK: Kunden geben ihr Geld für die Produkte des jeweiligen Labels aus und es wird konsequent daran gearbeitet, dass durch eine hohe Markenbindung Kunden nicht so schnell auf ein Wettbewerbsprodukt wechseln und der Anteil des ausgegebenen Geldes für das eigene Produkt gesteigert wird. Für die Modefirmen bietet dies sowohl Potenziale zur kurzfristigen Umsatzsteigerung durch gezielte Ergänzungsvermarktung als auch langfristige Bindung des Kunden an das Modelabel.
(Quelle: julientromeur, Pixabay.com)
VERÄNDERUNG VON PRODUKTION UND LIEFERKETTEN
PK: Welche Vorteile bietet das MV in der Modebranche in der Produktion und in der Lagerhaltung?
JCK: Das MV bietet der Modebranche eine bisher nie dagewesene Chance durch ein Ende-zu-Ende Upgrade. Da spielt dann auch die Verbindung mit der Integration von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Wertschöpfungskette eine wichtige Rolle. Dies bedeutet, dass die Produktion deutlich ziel-, regional- bzw. bedarfsorientierter durch Anbindung der connected Stores wird. Damit werden die Herstellungsmengen deutlich planbarer. Auch auf die Lagerbestände gibt es eindeutig positive Entwicklungen im MV, indem Überproduktionen vermieden oder zumindest reduziert werden, haben sowohl die POS als auch der Großhandel die Möglichkeit, das Problem von überhöhten Lagerbeständen erheblich zu optimieren. Gleichzeitig wird eine natürliche Verknappung schnell ausverkaufter Artikel vermieden, das heißt, es ist in Zukunft eine bessere, deutlich gezieltere Mengenplanung lokal nachgefragter Größen, Farben, etc. möglich.
PK: Welche Auswirkung hat das alles auf Verkauf, Lieferketten und Produktion?
JCK: Durch das MV kann die Produktion optimiert werden, denn durch die digitalen Daten, können erwünschte Stückzahlen besser vorherbestimmt werden. So könnte in Zukunft die Überproduktion deutlich reduziert werden. Folglich können Lagerrisiken eingegrenzt und die Kapitalbelastung gesenkt werden. Parallel wird der Absatzmarkt optimiert und gefördert. Diese hohe Personalisierung in Verbindung mit virtuell visueller Kleidung bietet Modelables nicht nur die maximale Möglichkeit zur Differenzierung, sondern könnte durch die schnelle Realisierbarkeit auch einen erheblichen Teil z.B. der Fast-Fashion Umsätze substituieren.
PK: Hat das MV Auswirkungen auf die Menschen, die es nutzen?
JCK: Der Umgang mit anderen Menschen und auch das Erlebnis von Produkten wird durch die Möglichkeiten des MV neu definiert, z.B. über Reskin. Menschen verbringen auch im Arbeitsleben immer mehr Zeit im Internet. Smartphones, Social Media, Unterhaltungsmedien wie beispielsweise Spiele, auch mit VR-Brillen, die Grenze zwischen Realität und Virtualität verschwimmt zusehends.
PK: Was versteht man unter dem Begriff Reskin?
JCK: Unter dem Begriff Reskin versteht man eine künstliche Haut, die für physische Interaktionen im Metaverse dient. Es ist das Bindeglied, dass die Verbindung zwischen virtueller und realer Welt herstellt. Mithilfe von Sensoren könnten magnetische Flussdichten gemessen werden. Sobald ein Kontakt mit anderen Objekten oder einer Oberfläche besteht, ändert die Reskin dabei ihr Magnetfeld und leitet die Information bezüglich dieser Veränderung über ein Manometer weiter. Die KI wertet anschließend die Informationen aus. Es werden die Berührungen und die dabei aufgewandte Kraft ermittelt.
PK: Was wird durch Reskin möglich?
JCK: Aktuell ist es nur möglich die erworbenen Kleidungsstücke im MV unseren Avataren anzuziehen. Dabei wissen wir aber nicht, wie sich die Stoffe anfühlen. Jedoch wäre es sinnvoll, wenn wir bereits zuhause die Stoffe erfühlen könnten, ohne sie tatsächlich in der Hand zu haben. Dafür wurde Reskin verwendet, um einen netzüberzogenen Handschuh zu produzieren, der uns die Stoffe fühlen lassen kann, ohne das Produkt tatsächlich physisch in den Händen zu halten. Durch die Reskin Sensorik können wir also die Berührung eines Stoffes simulieren. Ein mögliches Fühlen des Materials kann die Kaufentscheidung in der virtuellen Welt des MV maßgeblich beeinflussen.
PK: Wie trägt das MV der Nachhaltigkeit bei?
JCK: In der Modebranche ist „3-R“ inzwischen ein Megatrend: „Reduce, Recycle & Reuse“. Aber auch Fair-Trade und insbesondere die Einhaltung vereinbarter Produktionsstandards sind für Modelabels elementar für beides, für das Image und vor allem für den Nachweis, Nachhaltigkeitsziele erreichen zu können. Viele Modefirmen sind heute noch nicht voll in der Lage, ihre Lieferketten, die Einhaltung von sozial- und umweltverträglicher Produktionsvereinbarungen zu verifizieren oder bei Verstößen aktiv die Einhaltung sicher zu stellen oder einfach nur gegenzusteuern, beispielsweise durch einen raschen Wechsel auf alternative Lieferanten. Viele Labels haben keine Nachverfolgungssysteme für beispielsweise bessere Materialbeschaffung oder der Einhaltung von Firmen intern gesteckten Nachhaltigkeitszielen, um die Emissionen zu reduzieren. Hier bietet das MV technische Nachverfolgungssysteme und schafft Transparenz, um den Überblick der gesamten Lieferkette zu herzustellen.
PK: Glauben Sie, dass es realistisch ist, dass sich das MV etabliert?
JCK: Ja, es wird sich auf jeden Fall etablieren, denn vieles, was im Markt technisch möglich ist wird seine Fans finden und es wird Gruppen geben die Teile des MV intensiv nutzen werden. Die Frage ist nur, was wird sich langfristig für den sog. Mainstream, also den Massenmarkt, etablieren wird. Das hängt von den Vorteilen für den Verbraucher und den Unternehmen ab, sowie von der Leichtigkeit der jeweiligen Anwendungen. In dieser Hinsicht wird sich erst mit der Zeit herauskristallisieren, was sich dauerhaft durchsetzen wird.
PK: Jean-Claude, danke für das Gespräch.