Pilze auf der Haut!

Text: Johanna Schlemmer, Fotos: Peter Wolff, Cora Schmelzer

Pilze zum Essen? Liebend gern. Aber Pilze auf der eigenen Haut? Für viele eine komische, ja sogar ekelige Vorstellung. Nicht für Cora Schmelzer. Sie hat sich als angehende Produktdesignerin mit dem Thema Nachhaltigkeit und Ästhetik auseinandergesetzt. Bei ihrer Recherche stieß sie auf Materialien aus Pilzen. Ist es tatsächlich möglich aus Pilzen Kleidung herzustellen? Ein Interview mit Cora Schmelzer über vegane Kleidung und Nachhaltigkeit in der Modebranche.

Cora, wie bist Du auf Idee gekommen, aus Pilzen Kleidung herzustellen?

Ich bin während meines Studiums auf das Thema Pilze gestoßen und war fasziniert von diesem eigenen Reich. Aber dafür ist es relativ wenig erforscht. Weltweit findet man vor allem Forschungen bezüglich Speisepilze und medizinische Pilze. Durch Zufall bin ich auf die Idee gekommen, ob man eben im Sinne der Nachhaltigkeit Materialien aus Pilzen entwickeln könnte. Ich wollte Nachhaltigkeit und Ästhetik verbinden, damit dieser Wert in der Mitte der Gesellschaft ankommt. Ich war total fasziniert und habe gleich jedem alles über Pilze erzählt. Beispielsweise können Schleimpilze Algorithmen besser als wir Menschen lösen, obwohl sie kein zentrales Nervensystem haben. Es gibt quasi in allen Bereichen faszinierende Geschichten über Pilze.

Spielt Nachhaltigkeit in Deinem Leben generell eine Rolle?

Ich wusste, ich will etwas mit Nachhaltigkeit machen, weil es ein zentrales Thema meines Lebens ist. Ich versuche es auch in meinem Alltag zu etablieren. Als selbstständige Designerin und ehemalige Mitarbeiterin eines Start-Ups nehme ich ausschließlich Aufträge an, die sich um Nachhaltigkeit drehen.

Fashion designed by Cora Schmelzer – so könnte Mode, hergestellt aus Pilz-Stoffen, aussehen. Foto: Peter Wolff
Foto: Peter Wolff
Foto: Peter Wolff

 

 

 

 

 

 

 

 

Warst Du von Anfang an auf Kleidungsmaterialien ausgerichtet?

Nein, zuerst habe ich mich auf Möbel fokussiert. Da gibt es zum Beispiel die Firma „Ecovative Design“, die styroporartige Gebilde herstellt. Das habe ich dann selbst ausprobiert. Ich habe vier Materialien entwickelt bzw. ich habe sie nicht selbst entwickelt, sondern jemand anderes hat schon Vorarbeit geleistet und ich habe dann versucht, es nachzustellen. Das ist mir dann auch gut gelungen und zwar in meinem Studentenzimmer und im Heizungskeller meiner Eltern.

Wenn mir dieses Experiment schon auf dieser einfachen Ebene gelingt, habe ich mich gefragt, ob das nicht auch in einem Labor sehr gut klappen könnte. Ein schwammähnliches Material mit den Eigenschaften von Styropor war dann auch das Erste, das ich hergestellt habe.

Ein schwammähnliches, styroporartiges Material für ein Möbel, meinetwegen, aber ich möchte sowas doch nicht auf der Haut tragen!

Nein, natürlich nicht. Das war der Anfang, aber es dauerte nicht lange und ich entdeckte das Thema „Pilze und Textilien“. Pilze an sich sind uns Menschen ja nicht ganz so geheuer und wir empfinden sie eher als, ich möchte mal sagen, gruselig. Die Bereitschaft, sowas auf der Haut zu tragen, wäre für mich das Extrem. Deswegen wollte ich daraus etwas richtig Schönes entwickeln. Durch meine Recherche wusste ich schon, dass Pilze gute Materialeigenschaften haben. Aber die bisherigen Kleidungsstücke sahen noch alle sehr bedenklich aus.

Wie züchtet man denn Pilze, die dann zu Kleidung werden?

Ich habe mit vier Materialien gearbeitet. Zum einen mit dem Schaum aus Austernpilzen, den man in jede Form bringen kann. Ich habe das Material beispielsweise für eine Schuhsohle verwendet. In einer Petrischale habe ich einen weiteren Pilz gezüchtet. Ich habe einfach ein Originalstück des Pilzes hineingegeben und dann hat es sich kreisförmig ausgebreitet. Dann habe ich das ganze größer gemacht und konnte „Sheets“ abziehen. Der Stoff ähnelt Wildleder. Als nächstes habe ich „Zunderschwamm“ geerntet. Denn er wächst halbmondförmig an Bäumen im Wald. Von dem Pilz kann man die mittlere Schicht rauslösen und man hat wieder einen wildlederähnlichen Stoff. Es ist nicht so widerstandsfähig wie Leder, aber geht schon sehr in die Richtung. Man kann diese Schicht natürlich auch nochmal horizontal teilen und mehr Material daraus gewinnen.

Aus dem Schaum von Austernpilzen hat Cora Schmelzer eine Schuhsohle gefertigt. Foto: Cora Schmelzer
Das Pilz Samples zeigt die Rohstoffe, die aus den verschiedenen Züchtungen und Experimenten mit Pilzen entstanden sind. Foto: Cora Schmelzer
Austernseitling in der Petrischale. Foto: Cora Schmelzer
Austernseitlingmyzel auf Strohsubstrat. Foto: Cora Schmelzer

 

 

 

 

 

 

Schizophyllum Commune – der gemeine Spaltblättling – in der Petrischale. Foto: Cora Schmelzer

 

 

 

 

 

 

 

Das Rohmaterial für Pilzleder aus Zunderschwamm. Foto: Cora Schmelzer

 

 

 

 

 

 

 

Pilze sind doch relativ klein – wie will man da genug Material für Textilien gewinnen?

Das ist sicher ein Problem. Obwohl Pilze bis zu 60 cm groß werden können. Als letztes habe ich Kombucha gezüchtet. Ich habe allerdings nur die Pilzmutter, auch genannt als „Scobi“, in riesigen Tanks gezüchtet. Es breitet sich so weit aus, wie die Oberfläche Raum bietet. Daraus entsteht ein Material, das einer Schweinehaut ähnelt. Ich musste es dann noch trocknen. Das hat am längsten gedauert. Hier kann man zwei Anwendungen sehen. Einmal habe ich eine Form in das Material gelasert. Ein Zweites habe ich geölt.

Das Kombucha-Sheet sieht Schweinehaut sehr ähnlich. Foto: Cora Schmelzer
Das Muster in dem fast durchsichtigen Oberteil wurde in das Material aus Kombucha-Pilz hineingelasert. Foto: Peter Wolff
Hier sieht man das gelaserte Top und seine filligranen Muster im Detail. Foto: Peter Wolff

 

Wie lange hat die Herstellung der vier Materialien gedauert?

Es ist immer sehr unterschiedlich. Es kommt auch darauf an, wie viel Material man produzieren möchte. Je nach Material kann es von fünf Tagen bis zu mehreren Monaten variieren.

Welche Kundschaft hättest du gerne mit deinem Projekt angesprochen?

Soweit habe ich in der Arbeit an sich noch gar nicht gedacht. Ich wollte erstmal herausfinden, ob die Materialien zukunftstauglich sind. Das war meine Fragestellung in der Diplomarbeit. Meine Ausgangsfrage war, inwieweit man diese Materialien in eine ästhetische Richtung entwickeln kann, so dass die Leute sie auch tragen wollen. Ich habe dann natürlich auch eine Art Kollektion entworfen, die aber nicht aus dem Material besteht, sondern nur als Visualisierung gilt. (Bild) Man erkennt dabei aber gut, dass es schon in eine avantgardistische Richtung geht.

Siehst Du eine Zukunft für das Material?

In einem industriellen Maßstab etwas zu produzieren, ist nochmal eine ganz andere Sache auch in Bezug auf Größenskalierung. Dieser Pilzschwamm ist relativ leicht zu produzieren. Bei den anderen Textilien ist noch extrem viel Entwicklungsarbeit nötig. Die Tatsache, dass ich es unter meinen eher einfachen Rahmenbedingungen geschafft habe, ist allerdings sehr vielversprechend. Ich weiß, dass andere Firmen beispielsweise an einer Lederalternative forschen. Da gibt es zum Beispiel „MICO Works“ in USA. Oder „MOGU“ in Italien hat bei der Fashion Week 2022 in Kooperation mit Balenciaga einen Ledermantel aus Pilzen vorgestellt. Solche Firmen forschen da sicherlich schon seit zehn Jahren dran. Das zeigt natürlich, dass es gar nicht so einfach ist, vegane Materialien zu entwickeln und im großen Stil zu verarbeiten.

So zart sind die Pilzlamellen. Foto: Cora Schmelzer

 

Wahrscheinlich ist es auch nicht ganz billig, solche Materialien herzustellen.

Ich denke, im Moment ist es wegen der Entwicklungsarbeit noch sehr teuer. Da aber kein Tier dafür sterben muss, müsste es in Zukunft günstiger als Leder sein. Ich hoffe sehr darauf und wünsche mir es auch.

Du hast die Idee nach Deiner Diplomarbeit nicht weiterverfolgt. Warum?

Obwohl meine Studien sehr vielversprechend waren, hatte ich damals noch keine Gründungserfahrung und ich hatte auch keine Kontakte zu Biotechnologen, die ich dann auf jeden Fall gebraucht hätte. Es war zu groß für mich. Ich sah mich als Einzelperson nicht in der Lage, ein Start-Up aufzubauen und diese Idee weiterzuentwickeln. Ich konnte nicht abschätzen, wie viel Zeit und Kapital es benötigt. Es geht sicherlich um Millionenbeträge, die man für die Entwicklung braucht.

Und jetzt arbeitest Du in der Food Branche.

Ja, in die Food Branche bin ich über Zufall gekommen. Einer der Gründer des Start-Ups „the nu+ company“ ist einer meiner besten Freunde und der hat mich gleich am Anfang mit ins Boot geholt, als es um eine nachhaltige Verpackung ging. Jetzt bin ich zwar ausgestiegen, habe aber ganz viel Erfahrung gesammelt. Ich hatte auch die Idee, ein Start-Up in der Baubranche zu gründen. Dieses Gebiet ist nämlich auch extrem umweltschädlich. Ich bleibe aber wahrscheinlich in der Food Branche und eröffne ein nachhaltiges Restaurant bzw. Restaurantkette, da es überschaubarer und weniger kapitalintensiv ist. Aber vielleicht arbeite ich in der Zukunft nochmal an der Pilz-Stoff-Idee. Wer weiß (lacht).

Liebe Cora, herzlichen Dank für das Interview!

 

 

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