Ilustration von Susanne Gold/ Text von Ted Ganten
In diesem Film erfährst du mehr über „Terraismus“.
Sich die Erde als Raumschiff vorzustellen, hilft bei der Neubewertung unserer Regelsysteme. Wir und der Planet brauchen aber nicht nur neue Gedanken, sondern auch einen Antrieb sie umzusetzen. Wie schon gesagt, braucht gesellschaftliche Veränderung aus psychologischer Sicht großen Schmerz oder große Ziele. Ich bin für große Ziele.
Wie wäre es, wenn wir als Menschheit uns das Ziel setzten, zuerst die Erdumlaufbahn, dann den Mond und nach Terraforming auch den Mars zu besiedeln? Das wäre ein großes Ziel. Wir bräuchten neue Technologien. Wir müssten Ressourcen bündeln. Wir müssten neue Strukturen schaffen, die an dem Ziel ausgerichtet sind.
Raumfahrt
„Besiedlung des Weltalls“ klingt auf den ersten Blick weit hergeholt, albern, vielleicht sogar verrückt. Und wie bitte schön sollte uns das, bei der Lösungen der oben angesprochenen Herausforderungen für unser Zukunft helfen? Hier ist meine Theorie: Es gibt zwei Wege zu persönlicher Veränderung und aus meiner Sicht gilt das auch für das Kollektiv: Großer Schmerz oder große Ziele. Großer zivilisatorischer Schmerz – wie beispielsweise der zweite Weltkrieg – hat wirklich zum Umdenken bewegt. Viele der internationalen Organisationen sind danach entstanden beziehungsweise erstarkt. Erstrebenswerter als auf weitere Katastrophen zu warten, erscheint es, über ein großes Ziel Veränderung zu bewirken. Wir sind evolutionär darauf programmiert, Ziele zu erreichen, und wenn es dafür notwendig ist, werden Ziele unsere Perspektive verändern. Je schwieriger die Ziele zu erreichen sind, desto besser eignen sie sich dazu, (ungeahnte) Kräfte zu mobilisieren. Im Management spricht man von „big hairy audicious goals“ und im persönlichen Umfeld von Träumen. Starke Triebfedern für den Einzelnen und große Gruppen. Konzerne nutzen den Mechanismus täglich, um weltumspannende Teams zu motivieren.
Nicht Umweltschutz?
Warum sollte nicht der naheliegende Erhalt des Planeten, das große, verbindende Ziel sein? Wieso der Griff nach den Sternen? Zunächst ist klarzustellen, dass der Planetenerhalt und sogar Erhalt des Homo Sapiens selbstverständlich unterliegende, prioritäre Ziele sind. Obwohl diese Ziele jedem denkenden Wesen sicherlich einleuchten, reicht es doch bisher nicht aus, die Menschheit darauf auszurichten. Es ist ein bisschen wie mit gesundem Leben. Jede*r weiß, dass viel Fleisch, Chips und fettige Pizzen ungesund sind. Wir wissen auch dass Alkohol, Zigaretten und Stadtluft ein langes Leben nicht gerade fördern. Jede*r ist sich bewusst, dass Kraft- und Ausdauersport verbunden mit hinreichend Dehnung die Lebensqualität fördert. Kaum eine*r macht es konsequent. Es wäre aber doch – ähnlich wie der Planetenerhalt für die Menschheit – ein naheliegendes Ziel im Leben jedes Einzelnen. Kaum geben wir uns ein Ziel außerhalb des Alltäglichen, Selbstverständlichen vor – nehmen wir als Beispiel einen Marathonlauf in 12 Monaten – fangen die meisten von uns an, gesund zu leben. Von einzelnen Individuen abgesehen, scheint die menschliche Psyche das Selbstverständliche/Vernünftige nicht als motivierendes Ziel zu akzeptieren. Selbst Personen, die mit großer Hingabe an Themen zur Verlängerung des menschlichen Lebens forschen oder sich als Ärzt*innen der Gesundheit des Menschen verschrieben haben, sind in den eigenen Lebensgewohnheiten nicht daran ausgerichtet. Wenn die gleichen Personen Ziele im Außen haben, wie Erfolg bei dem oder der Angebeteten, einem bestimmten Job oder auch nur ein Reisetraum und dafür ein gesunder Lebenswandel hilfreich ist, funktioniert es plötzlich.
Problemlöser
Evolutionär sind wir eben Problemoptimierer. Das Selbstverständliche übt nicht den gleichen Reiz aus. Diese Mechanismen lassen sich von der individuellen Ebene auf das Kollektiv übertragen. Für die Menschheit wäre es deswegen hilfreich, ein Ziel im Außen zu finden, das als Reflex den Planetenerhalt wichtig erscheinen lässt und die Perspektive auf unser Zusammenleben ändert. Weltraumbesiedlung, im Sinne eines erweiterten Wirkkreises für die Menschheit – nicht im Sinne eines Verlassens einer ausgebeuteten Erde – könnte eine solches Ziel sein. Der Umweltschutz und Nachhaltigkeit an sich müssen natürlich weiter beworben werden. Die Anstrengungen müssen hier sogar deutlich erhöht werden. Aber als alleiniges Ziel hat es der Planentenerhalt massenpsychologisch schwer.