Ein Roman von Mira Steffan
Eilig und auf den Einkaufszettel in ihrer Hand konzentriert, schob Charlotte den Einkaufswagen durch die Gänge des Lebensmittelgeschäfts, als sie jäh an dem Kühlregal gestoppt wurde. Ein anderer Einkaufswagen stand quer im Gang und seine Besitzer, eine grauhaarige Frau mit Kurzhaarschnitt und ausladenden Körperformen und ein dickbäuchiger Mann mit Tonsur, stritten sich lautstark darüber, welchen Joghurt sie kaufen sollten.
„Lass uns Naturjoghurt kaufen. Guck doch mal, da ist viel zu viel Zucker drin“, der Mann deutete auf die Schrift an der Außenseite des Bechers, den seine Frau in der Hand hielt und schaute sie vielsagend an.
„Dann ist er tatsächlich nichts für dich“, sagte sie spitz, schaute ihn von oben bis unten an, „bei deiner Figur“, schob sie gehässig hinterher.
„Wem hat der Arzt denn gesagt, dass der Bluthochdruck vom Übergewicht kommt?“, fragte dieser gelassen.
Ihre Augen schossen bitterböse Giftpfeile in seine Richtung: „Und wer kann seine Schnürsenkel nicht mehr zubinden und schnaubt wie ein Walross, wenn er versucht sich zu bücken?“
Wortlos versuchte er, ihr den Becher aus der Hand zu nehmen.
„Untersteh dich. Ich will den Joghurt mit Schokoladenstücken“, ihre Stimme schraubte sich immer weiter in die Höhe. Andere Kunden schauten neugierig in ihre Richtung. Ihr Mann stupste sie unsanft in die Seite und wies mit seinem Doppelkinn auf die Zuschauer.
Sie hob arrogant die Augenbrauen, drehte sich zum Kühlregal, packte schnell eine Palette mit Schokoladen-Joghurt in ihren Einkaufswagen und schob ihn hoch erhobenen Hauptes, ohne ihren Mann zu beachten, Richtung Nudelregale.
Charlotte schüttelte sich. Wie fies die beiden zueinander waren. Die Liebe war da schon längst auf der Strecke geblieben, falls sie überhaupt jemals vorhanden gewesen war. So will ich mit Justus nicht enden, dachte sie schaudernd, als ihr jemand auf die Schulter tippte. Sie drehte sich um und erblickte ein attraktives Männergesicht. Es kam ihr vage bekannt vor. Doch zuordnen konnte sie es nicht. Fragend blickte sie den Mann an.
„Leo Schneider. Aus dem Seminar“, ergänzte er.
„Ach ja, natürlich. Entschuldigen Sie, dass ich Sie nicht sofort erkannt habe. Wie geht es Ihnen? Hat es mit dem Job geklappt?“ Charlotte schleuderte die Sätze und Fragen ab wie Gummigeschosse. Genauso wie damals, als sie ihn auf ihrem Heimweg getroffen hatte, fühlte sie sich in seiner Gegenwart nicht wohl.
„Sehr gut. Ich habe eine neue Stelle. In zwei Wochen geht es los.“ Seine blauen Augen musterten sie abschätzend, während er ein strahlendes Lächeln zeigte.
„Das freut mich“, sagte Charlotte und schaute demonstrativ auf ihren Einkaufszettel. Hoffentlich verstand er den Wink. Sie wollte das Gespräch beenden, aber nicht unhöflich sein.
„Wie sieht es bei Ihnen aus? Schon Glück gehabt mit der Jobsuche?“
„Ja“, sagte sie kurz angebunden und ließ ihren Blick suchend durch den Laden schweifen. Vielleicht verstand er diese stumme Aufforderung.
Er verstand sie nicht: „Bei welcher Firma arbeiten Sie?“
Mit belegter Stimme nuschelte sie genervt den Namen.
„Waaaas!“
Charlotte zuckte bei diesem Ausbruch heftig zusammen.
Er räusperte sich: „Das ist mein neuer Arbeitgeber. Demnächst sind wir also Kollegen.“
„Oh“, sagte Charlotte sparsam und ihr Unbehagen wuchs weiter. Krampfhaft suchte sie nach einer Ausrede, um ihn los zu werden. Doch in ihrem Kopf herrschte Funkstille.
„Ich arbeite in der Controlling-Abteilung“, fügte er ungefragt hinzu.
WAS? Scharf atmete Charlotte ein. Nur nichts anmerken lassen. Ruhig bleiben. Fahrig strich sie sich eine Strähne hinter das rechte Ohr: „Ach…Dann sehen wir uns ja bald öfters“, sagte sie gezwungen.
„Darauf freue ich mich“, Leo Schneiders Mund grinste, während seine Augen sie emotionslos musterten. Er gab ihr die Hand und schüttelte sie mit aufgesetzter Begeisterung.
Hastig entzog Charlotte sie ihm und trat einen Schritt zurück: „Auf eine gute Zeit.“ Sie winkte ihm zu: „Ich muss weiter.“ Fröstelnd zog sie ihre Schultern hoch. Sie hatte gar nichts davon mitbekommen, dass die Geschäftsleitung einen weiteren Mitarbeiter für ihre Abteilung gesucht hatte. Was wollten die mit einem zweiten Controller?