Graffiti mit Pressluftflasche und Sandstrahler – Wer ist seiLeise?

Image von SeiLeise/ Text von Corinna Heumann

SeiLeise ist Kölner Street Art-Künstler. Schon als Jugendlicher kommt er mit Graffiti in Kontakt. Später findet er – mittlerweile zum Grafiker ausgebildet – in der Kunst der Straße die zentrale Inspirationsquelle seiner künstlerischen Entwicklung. Heute besprüht er die Straßen dieser Welt. Man findet seine Werke in Lissabon, Hamburg oder London. Trotzdem ist er seiner Heimatstadt Köln treu geblieben und stattet sie mit wundervoller, überraschender Street Art aus. 

Sein Wille, den öffentlichen Raum mitzugestalten, das etablierte Grau der Stadt nicht zu akzeptieren, treibt ihn an. Er will Kunst und Intellekt zugänglich machen. Er will nicht allein der Werbung die inhaltliche und farbige Gestaltung des urbanen Raumes überlassen. Wenn ich es dann noch schaffe, dass Menschen sich auf ihrem Weg an meiner Kunst erfreuen und deren Lächeln mich erreicht, fühle ich mich in dem, was ich mache, bestätigt.

Der Reiz der Vergänglichkeit – Vita brevis, ars longa

In der Welt der westlichen Kunstproduktion findet seit Jahrzehnten ein Paradigmenwechsel statt. Über Jahrhunderte meißelte man in Marmor, goss in Bronze, bemalte die dicken Mauern von Kirchen und Palästen, um der Vergänglichkeit der menschlichen Existenz göttergleichen Ewigkeitscharakter zu verleihen. Im Angesicht des ungeheuren menschlichen Zerstörungspotentials spielen die Künstler und Künstlerinnen der Gegenwart nun mit der neueren Erkenntnis, dass nichts bleibt, außer vielleicht das NICHTS. Der Entzauberung vergangener paradiesgleicher Illusionen setzen sie eine neue poetisch-visuelle Intellektualität entgegen.

Lebendige Transformationsprozesse

Der inzwischen inflationäre Gebrauch des Begriffs Transformationsprozesse beansprucht häufig auch eine Deutungshoheit im Ungefähren mit erheblichem Einschüchterungspotential. Sei es im Stadtraum oder in den Arbeiten auf Papier, die unverstellte liebevolle Weltzugewandtheit des Künstlers seiLeise schafft dagegen eine lebensvolle Atmosphäre emotionaler Nähe und Toleranz, auch in komplizierten gesellschaftspolitischen Themenfeldern. Seine Werke setzen das kreative Verarbeiten dem menschlichen Gefühl des Ausgeliefertseins entgegen. Wind und Wetter in der Stadt, Menschenmassen, politische Dynamiken und Klimawandel verlieren ihr direktes emotionales Bedrohungspotential. Statt in Lähmung oder sogar Anklage zu verfallen, inspiriert seine Kunst zufällige Betrachter und Galeriebesucher zu deren friedfertig konstruktiver Bewältigung und zaubert so ein Lächeln in ihre Gesichter.

Reverse Graffiti meets Paste-up

Bekanntheit erlangte seiLeise durch seine Reverse Graffiti. Dabei handelt es sich um eine Technik, derer sich nur wenige Künstler annehmen. Schließlich verlangt sie einiges an technischem Know-How und Ausrüstung. Anstatt die Wand, wie sonst üblich, additiv mit Farbe zu ergänzen, verlangen Reverse Graffiti vielmehr das genaue Gegenteil: Die Wand wird von Farbe, Schmutz und anderen Umwelteinflüssen gereinigt. Statt Sprühdose oder Pinsel gehören Pressluft-Flasche und Sandstrahler zum Handwerkszeug. Neue Bilder entstehen. Die Ausdifferenzierung in unterschiedliche bildnerische Techniken, begreift seiLeise in immer neuen Möglichkeiten der Kombinatorik als große Chance.

Grafiken mach‘ ich eigentlich schon seit vielen Jahren. Aber damit war ich immer im Computer gefangen, die sind da nicht rausgekommen. Und irgendwann hab ich versucht, das zu verbinden: Also nicht mehr zwingend nachts raus zu müssen, wie in Jugendtagen beim Graffiti, aber trotzdem Kunst zu machen und meine Grafiken zu verwenden – das war die Intention dahinter. Multilayer-Stencils (Schablonen), sowie die Paste-ups bereitet er im Atelier vor. Dann erst verklebt er sie im Stadtraum. Es handelt sich dabei um auf Papier gesprühte, mehrfarbige Motive. Der öffentliche Raum ist dabei mehr als eine bloße Leinwand seiner Arbeiten, er ist Dreh- und Angelpunkt seines Schaffens und Bezugspunkt dessen, was ihn als Street Art-Künstler definiert und legitimiert.

Mit seiner Kunst möchte seiLeise Impulse setzen. Er möchte sein Publikum dazu inspirieren, individuelle Interpretations-Spielräume zu öffnen, um die eigenen Gedanken und Deutungen zu formulieren. Nichts ist so erfrischend wie ein beherzter Schritt über die Grenzen, konstatierte Keith Haring bereits im New York der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts.

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