Kunstmachen im Anthropozän: Wer ist Daniela Flörsheim?

Titelfoto Daniela Flörsheim/ Text von Corinna Heumann

Paradiese bewahren ist das Lebensmotto der Düsseldorfer Künstlerin Daniela Flörsheim. In ihrem malerischen Werk bearbeitet sie die großen Themen unserer Epoche, den Klimawandel und das Artensterben. Sie denkt unsere Beziehung zur Natur neu. Diese neu gedachte Beziehung zu den vielfältigen Erscheinungsformen unseres Planeten ist emphatisch, weil die Erde endlich und verletzlich ist. Sie erweitert damit das gesellschaftspolitisch relevante Potential der Malerei.

Rheinische Avantgarde

Daniela Flörsheim kommt aus einer bekannten rheinischen Avantgarde-Künstlerfamilie. Ihre Bestimmung, die Kunst ebenfalls zu ihrem Beruf und zu ihrer Lebensaufgabe zu machen, ist bereits in Kindertagen deutlich ausgeprägt. Joseph Beuys nimmt sie in seine damals bereits weltberühmte Meisterklasse an der Düsseldorfer Kunstakademie auf. 1975 schließt sie als Meisterschülerin das Studium mit Auszeichnung ab. Ihre Werke werden international gezeigt: New York und Boston, Mumbai, München, Seoul, Santiago de Chile und die Dokumenta in Kassel sind nur einige der Stationen. Immer geht sie dabei auf malerische Entdeckungsreisen in die verbleibenden Naturreservate auf allen Kontinenten. 

Kunstmachen, die Essenz, der Wunsch nach Heilung

Die Künstlerin betrachtet die Natur nicht als Bühne, Verfügungsraum oder Depot von Ressourcen, derer man sich – wie auch immer – bedient. Sie betrachtet sie als etwas autonomes, als ein dialogisches Gegenüber, als unentbehrlich alternativlosen Partner einer neuen Weltgesellschaft im 21. Jahrhundert. Partnerschaftlicher Umgang ist die Bedingung einer neuen Koexistenz unter dem Aspekt der Endlichkeit unseres Planeten. Seine Rechte und unsere Pflichten müssen neu gedacht und verhandelt werden. Denn das bisherige Konzept einer Art darwinistischen Naturrechts in einer Welt paradiesischen Überflusses führt in die Katastrophe. 

Eine neue Grundlage ist die vollständige Anerkennung auch der nicht-menschlichen Erdbewohner, der sie in ihrer Malerei Ausdruck verleiht

Die Künstlerin bringt in ihrer Malerei Tiere und Pflanzen zum Sprechen. In ihrer Not, hervorgerufen durch den Menschen gemachten Klimawandel, dürfen sie nicht schweigend dem endgültigen Untergang entgegen gehen. Sie müssen wahrgenommen und wertgeschätzt werden. Ihr Recht auf Unversehrtheit muss verbrieft, geschützt und einklagbar sein. Diesen Dialog fordert die Künstlerin und dokumentiert ihn malerisch-poetisch.

Das Einbeziehen der Natur in einen erweiterten Kommunikationsraum

Der Natur und ihren Völkern, den menschlichen und nicht-menschlichen, soll eine Stimme gegeben werden. Für Daniela Flörsheim ist die Klimakrise eine westliche Zivilisations- und Machtkrise, die nur im weltweiten Dialog gelöst werden kann. Nur in der tiefen Erkenntnis des Irrwegs, die Natur und ihre Bewohner einschließlich der Pflanzen unterwerfen zu wollen, anstatt Teil von ihr zu sein, kann ein Paradigmenwechsel beginnen. 

Natur als Teil der sozialen Skulptur

Nach dem von Joseph Beuys geprägten kunsttheoretischen Begriff der sozialen Skulptur beinhalten die kreativen Arbeitsprozesse von Künstlerinnen und Künstlern auch den Anspruch die Gesellschaft mitzugestalten. Künstlerisches Handeln beschränkt sich nicht mehr nur auf ein Artefakt als Endprodukt, das lediglich nach ästhetischen Kriterien diskutiert wird. Es umfaßt auch das, dadurch in Gang gesetzte menschliche Handeln und seine gesellschaftspolitischen Wirkungskreise. Daniela Flörsheim klagt nicht an. Dennoch besteht sie darauf, die vom Menschen zerstörte Natur zu heilen. Ihr kreatives Potential verleiht ihr die optimistische Kraft des Möglichen.

Die Kunst als diplomatische Vermittlerin zwischen Wissenschaft und Politik

Daniela Flörsheims Methode weist der Kunst eine diplomatische Vermittlerrolle zu. Diese erzeugt einen emphatischen Blick für unsere bedrohte Welt. Die von Interessen geleiteten Machtsysteme der Wissenschaft, Politik und Wirtschaft entziehen sich aber diesem Blick. 

Die Kunst vermittelt 

Die Künstlerin erweitert ihre kommunikativen Handlungen (Jürgen Habermas) auf nicht-menschliche Akteure, die bedrohten Tiere und Pflanzen, die sie portraitiert. Auf der Grundlage von überprüfbaren Fakten ist es erst der Zauber der Imagination eines paradiesischen Versprechens, der die Menschen zum richtigen Handeln motiviert. Diese Wahrhaftigkeit liefert die Kunst. 

Ich werde eins mit dem Tier und der Farbe, der Farbe und dem Tier

Ich werde eins mit dem Tier und der Farbe, der Farbe und dem Tier. Die Künstlerin beschreibt ihre Arbeitsprozesse: Ich schütte und male. Es ist eine visuelle, ja rituelle Tätigkeit. Auch wenn ich etwas sehe – und es ist halt meistens in der Natur oder die Natur ungebändigt – spüre ich es gerne, ja fast gestisch und schnell mit einem Stift oder Pinsel nach, um EINS sich zu fühlen mit dem Gesehenen, ein intensives Seh – Erlebnis zu haben und diese Begeisterung auf Papier festzuhalten. Als Malerin bezieht sich Daniela Flörsheim auf ihr intuitives Wissen, auf das Wissen der Nymphen. Sie sind die Hüterinnen eines beweglichen Wissens. Nymphen symbolisieren die Wesenhaftigkeit des Wassers als flüssiges, flüchtiges und veränderliches Wissen.

Der Weg in die Naturerfahrung ist nicht das wissenschaftliche Wissen

Das tragische Wissen ist nach Friedrich Nietzsche der Weg in die Naturerfahrung: Vielleicht gibt es ein Reich der Weisheit, aus dem der Logiker verbannt ist? Vielleicht ist die Kunst sogar ein notwendiges Correlativum und Supplement der Wissenschaft?

In der malerischen Interaktion mit der Natur lässt die Künstlerin die politischen und  wissenschaftlichen Echoräume zurück. Eine Reise in die schamanischen Traditionen und Mythen beginnt. Ihre Weltwahrnehmung wird nicht von einer Subjekt-Objekt Beziehung bestimmt. Kein beobachtendes Subjekt klassifiziert hier Naturerscheinungen und bildet sie vermeintlich objektiv oder realistisch ab. 

Schönheit ist die größte Provokation unserer Epoche

Die Künstlerin fühlt sich ein. Sie wird EINS mit der Natur im partnerschaftlich-symmetrischen Dialog auf Gegenseitigkeit. Sie betritt ein weites Feld über das Zwischenmenschliche hinaus in das Schöne. Die Schönheit ist die größte Provokation unserer Zeit. Sie ist nicht berechenbar. Sie ist das Versprechen des Erhalts verloren geglaubter Paradiese.

Keine Zentralperspektive im Paradies

Mit der Erfindung der Zentralperspektive, des Kompasses und ähnlichen Spielereien setzte die Vermessung der Welt ein. Damit begann auch ihre beispiellose Unterwerfung, die nun im sogenannten Anthropozän mit der Erfindung der Quantencomputer ihren vermeintlichen Höhepunkt findet: Bald kann der genaue Standort jeder einzelnen Ameise bestimmt werden. Man experimentiert heute ohne ausreichend präzises Wissen gewissenlos mit dem gesamten Erdsystem. Der Künstlerin sind diese Entwicklungen bewußt. Sie führen in eine Sackgasse. Sie negieren die Komplexität des Lebendigen. Daniela Flörsheim fordert eine planetarische Vernunft des Lebendigen, eine Anima (lat. Seele). Dazu gehören:

Staunen, Verwunderung, Neugier, Empathie

Der wandernde, nicht zu verortende Blick auf alle Lebewesen in dieser Welt ist ihr Versuch, das Lebendige zu erfassen. Eine intuitiv positive Weltgewandtheit öffnet den Weg ins Paradies: Der Sinn des Lebens ist das Leben selbst. Also macht es auch Sinn, den nicht-menschlichen Wesen des Planeten eine hörbare, individuelle Stimme zu verleihen. Die Künstlerin lädt den Betrachter ein, ihrem emphatischen Blick zu folgen, um die Anima, das beseelte Wesen in jedem Lebewesen wertzuschätzen, zu schützen und zu bewahren.

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