Warum Utopielosigkeit utopisch ist (12/52 – Terraismus)

Ilustration von Susanne Gold/ Text von Ted Ganten
In diesem Film erfährst du mehr über „Terraismus“.

Macht Träumen Sinn?

Wieso sollten Sie ein Manifest lesen, das zumindest Teile einer Utopie beschreibt, also eine fiktive neue Gesellschaftsordnung, welche in ferner Zukunft liegt, derzeit keine Relevanz besitzt und deren Umsetzung in Reinform unwahrscheinlich ist? In Deutschland haben wir wenig gute Erfahrungen mit rechten wie linken Utopien gemacht. Wir haben gesehen, wie schnell aus Utopien Ideologien werden und wie blutig sie scheitern können. Es ist richtig und wertvoll aus der Vergangenheit zu lernen und gerade wir Deutschen tun gut daran, auf unsere Geschichte zu schauen, um Wiederholungen zu vermeiden. Also lassen wir lieber die Finger von Utopien?

Werden Träume wahr?

Diese in der Gesellschaft fest verankerte Überzeugung übersieht Wesentliches. Mit einer Idee hat man die Chance, Veränderungen zu gestalten und umgekehrt: die Idee verändert bereits die Realität. Eine Veränderung ohne Idee ist schwer vorstellbar. Es muss ein neuer Gedanke entstehen und sich materialisieren. Bei Erfindungen (Ideen) leuchtet das unmittelbar ein. Aber auch der Einfluss von Philosophie (Ideen) – zum Beispiel der Aufklärung – oder Religionen auf unsere erlebte Realität kann kaum überschätzt werden.

Wurde unsere Realität erträumt?

Der Kapitalismus selbst, der unser aller Geschicke heutzutage lenkt und durchdringt, ist ein nicht selbstverständliches Gedankenkonstrukt und begann als Utopie. Der Kapitalismus schien die perfekte Möglichkeit zu sein, Kapital bedürfnisgerecht zu verteilen, Anreize zu schaffen, um Wohlstand und Frieden für den ganzen Planeten zu bringen. Die Umsetzung des kapitalistischen Gedankens hat zum Beispiel mit der Ost Indien Trade Company, die ein privates Heer von mehr als 30.000 Soldaten finanzierte, ganze Kontinente gestaltet und das britische Imperium mitbegründet. Auch die früh-kapitalistische Idee, eine Revolution in Griechenland über Aktienanleihen am Markt zu finanzieren, ist kein naheliegender Gedanke und doch – aus einer Utopie geboren – verwirklicht worden.

Was passiert wenn wir aufhören zu träumen?

Ideen und Utopien gestalten unsere Welt. Wenn wir in Deutschland und Europa derzeit vor jeder weiterreichenden Idee zurückschrecken, hat auch das eine Rückwirkung auf die Realität. Eine utopielose Welt zu propagieren ist eine in sich geschlossene Gedankenwelt und damit selbst eine Utopie von einer Zukunft, in der nur im Wege des reaktiven Managements mit tatsächlichen Veränderungen umgegangen wird. Ein Catch 22 – auch die Angst vor Utopien und Veränderung ist eine Utopie in sich. Eben eine, die am Status Quo möglichst wenig verändert. Wenn es also gar nicht geht, die Zukunft nicht durch Ideen zu gestalten, ist es vielleicht an der Zeit, mal wieder eine Idee zu entfalten, die einen positiven Einfluss haben könnte – auch wenn sie nicht gleich alle Probleme löst.

Traumhafte Realitäten

Ideen und Utopien können Wirkungen erzeugen, noch bevor sie umgesetzt werden. So würde beispielsweise eine Community, die terraistisch denkt, darauf hinwirken, souveräne Staaten in ihrer Wirkung zu begrenzen. Eine Gemeinschaft, die es als nächsten gemeinsamen Schritt der Menschheit ansieht ins All zu streben, würde zumindest die Perspektive auf den Planeten verändern – selbst, wenn keine der von mir weiter unten vorgeschlagenen Strukturen umgesetzt würden. Hier sei beispielhaft auf die „Gründung“ Asgardias vgl. Kapitel 1.6.2. hingewiesen, die ich als inspirierenden Schritt erlebt habe.

Träumst du oder gestaltest du schon?

Schon die Gründung des besagten Vereins, ja, sogar schon das Lesen dieses Manifests könnte einen Beitrag zu Frieden und Umweltschutz darstellen. Es wird hier keine vollständige Utopie entwickelt, sondern eine neue Idee, sich einer besseren Zukunft zu nähern. Für eine neue Gesellschaftsordnung wird es immer auch noch der Änderungen der nationalstaatlichen Organisationsformen bedürfen.

Großer Schmerz oder große Träume?

Ich erlaube mir an dieser Stelle möglichst groß und umfassend zu denken und ermutige Sie, diesem Beispiel zu folgen. Veränderung erfolgt durch großen Schmerz oder große Träume. Meine Präferenz ist klar. Wir sollten uns von möglichen Schwierigkeiten bei der Umsetzung nicht den Mut nehmen lassen, uns das beste denkbare Ergebnis vorzustellen. Nur so haben große Veränderungen eine Chance. Zukunftsweisende Veränderungen, die über die Reaktion auf Notwendigkeiten, Krisen und Schmerz hinausgehen.

Nächste Woche beginnen wir über den Weg und nicht das Ziel zu reden …

Kommentare

2 comments on “Warum Utopielosigkeit utopisch ist (12/52 – Terraismus)”
  1. Ein Planet, ein Land, eine Währung ist gar keine so unmögliche Utopie. Denn vor 300 Jahren gab es auf deutschen Boden mehr Staaten als heute auf der ganzen Welt. Viele davon hatten eigene Armeen, führten ständig Kriege und es gab die selben Probleme durch Abgrenzung, welche heute die Entwicklung der Menschheit behindern.
    Vielleicht bringt das Virus die Menschheit zur Vernunft. Weil alle Regierungen der Welt durch Covid19 verstanden haben, dass sie die Probleme nur lösen, wenn alle gemeinsam an einen Strang ziehen!
    Für einige klingt das jetzt nach Verschwörungstheorie, aber bitte die echten Hintergründe lesen:
    „Früher: «The Great Transformation»
    Der Begriff wurde Anfang Juni in Umlauf gebracht: Da kündigte das World Economic Forum eine Initiative an, die helfen sollte, dass die Welt nach Covid-19 als besserer Ort dasteht. Covid-19 habe bewiesen, dass es möglich ist, «unsere ökonomischen und sozialen Grundlagen neu zu starten», schrieb Wef-Chef Klaus Schwab damals. Das Programm erschien als Wef-typische, eher vage Auflistung von Problemfeldern – Covid-19, Staatsverschuldung, Klimakrise –, die nun in einem gemeinsamen Effort angegangen werden müssten.“
    https://www.handelszeitung.ch/politik/the-great-reset-wie-das-wef-ins-zentrum-aller-verschworungstheorien-geriet?fbclid=IwAR1BCATDgVffqcVnUZOHrinPzn78iSUNmZOA548RVwclRitTpvOCLm4RhjE

    Veränderungen, die Umsetzung von Utopien entstehen meist aus Not und weniger aus vernünftiger Einsicht! Große Sorgen vor der 3. Corona Welle! Zu Weihnachten wird sich kaum jemand in Deutschland, CH, A und der EU an nötige Corona-Auflagen halten. Im Januar sind extreme Schockzahlen an Corona-Toten, Infizierten zu erwarten.
    Sogar die Elite gibt Europa auf, verlegt das Wirtschaftsforum von Davos nach Singapur:
    https://www.handelsblatt.com/politik/international/wef-weltwirtschaftsforum-wegen-corona-verlegt-wirtschaftselite-trifft-sich-im-mai-in-singapur/26695092.html?fbclid=IwAR1VUx63HU0QUwZGkzHCraA1IKXZ2NMaUaZQaf4OxFiAmfL6XeZihJu5pTQ&ticket=ST-7471320-QQgk4JsBfgdtJOQ2HOfI-ap4

    1. Ted Ganten sagt:

      Lieber Dieter, du sprichst mir aus der Seele. Utopien sind entgegen ihrer häufig gewählten Begriffsdefinition eben gerade nicht unmöglich, sondern Voraussetzung für Veränderung. Dein Beispiel ist großartig.

      In der Gegenwart wird planetenweites Denken zur Notwendigkeit. Corona zeigt eine Facette davon sehr deutlich. Wenn der Weg zurück in die absolute regionale Abgrenzung nicht erstrebenswert ist, ist die einzig sinnvolle Lösung, globale Verantwortung von der Pandemiebekämpfung über die Ressourcenverteilung bis hin zur Bildung auch global zu tragen.

      Danke für deinen Kommentar. Ted

Kommentar verfassen