Illustration von Corinna Heumann/ Text von Ted Ganten, Susanne Gold, Corinna Heumann
Tempo machen in Sachen Gleichberechtigung: Die Weltgesundheit liegt in den Händen der Frauen!
Gleichbehandlung von Frauen und Männern macht Gesellschaften widerstandsfähiger und damit wirtschaftlich erfolgreicher. In Krisen treten Missstände besonders deutlich hervor. Mit dieser Klarheit wird es uns möglich, den benötigten Fortschritt voranzutreiben.
Gerade in schweren Zeiten bekommen wir einen unverstellten Blick für Tatsachen. Das gilt auch für die Krise unserer Zeit, COVID-19
Ein Blick auf das Weltgesundheitssystem: Gesundheit ist ein Menschenrecht, welches wir nicht nur proklamieren, sondern auch umsetzen wollen. Doch wer setzt dieses Menschenrecht derzeit eigentlich um?
Auf dem Weltgesundheitsgipfel in Berlin im Oktober 2020, wurde die Rolle der Frau während der Pandemie beleuchtet. Ein Blick auf die aktuelle Lage macht deutlich: Frauen sind nicht nur die Stütze der weltweiten Gesundheitssysteme, sie sind gleichzeitig von Pandemien stärker betroffen als Männer.
Eine erste Krisen-Bilanz eines Deutschen Wirtschaftsforschungsinstituts machte bereits die geschlechtsspezifische Schieflage in Deutschland überdeutlich: Nach wie vor tragen Frauen hierzulande die Hauptlast der täglichen Arbeit in den Familien, bei der Kinderbetreuung als auch bei der Versorgung pflegebedürftiger Angehöriger. Ein Blick auf die restliche Welt zeichnet ein ähnliches Bild.
Die Rolle der Frau im weltweiten Gesundheitssystem
Der weibliche Beitrag zum Gesundheitssektor ist immens: 75 % der Beschäftigten im Gesundheits- und Pflegebereich sind Frauen, dabei ist die Arbeit, die Frauen zusätzlich in Familien leisten, nicht berücksichtigt. Mit der Benachteiligung von Frauen in Führungspositionen ist Deutschland ebenfalls ein schlechtes Vorbild. So bezeichnete die schwedisch-deutsche AllBright-Stiftung den Umgang mit Frauen hierzulande bereits als einen “Sonderweg”.
Männer bleiben an der Macht!
Der Frauenteil in Vorständen von Dax-Konzernen ist rückläufig und selbst in Bereichen, in denen vornehmlich Frauen arbeiten, wie dem Gesundheitssystem, bleibt die Führung weiterhin in den Händen der Männer. Deutschland steht damit nicht alleine da: Trotz ihres immensen Einsatzes sind nur 25 % der Führungspositionen im Gesundheitssektor der Welt von Frauen besetzt.
Dies, obwohl sich gerade in Krisen zeigt, dass “typisch weibliche” Eigenschaften wie Empathie, eine ausgewogene Meinungsbildung und gewaltfreie Kommunikation die Schlüssel zum Erfolg sind.
Durch ihren Einsatz in medizinischen und pflegenden Berufen sind Frauen zusätzlich Infektionen stärker ausgesetzt. Die Arbeitsbelastung und Stressfaktoren nehmen während der Pandemie für Frauen stark zu. Sozialer Schutz, familiäre Strukturen und Sicherheitsnetze werden strapaziert, Lebens- und Arbeitsbedingungen von Frauen werden durch die Pandemie zusätzlich verschärft.
Die Pandemie hat problematische Lebenslagen von Frauen zusätzlich verschärft.
Frauen müssen während der Pandemie häufiger auf Einkommen verzichten. Der pandemische Druck führt für Frauen weltweit mitunter in schwierige Lebenslagen und sogar in menschenunwürdige Verhältnisse. Die strukturelle Abhängigkeit, in der viele Frauen auf der Welt finanziell und räumlich leben, ermöglicht durch die Pandemie eine neue Qualität der Macht- und damit auch der Gewaltverhältnisse.
Seit Ausbruch der Pandemie ist die Frauenarbeitslosigkeit gestiegen. Es wurden anteilig weniger Frauen neu eingestellt. Hinzu kommt, dass es in Familien überwiegend die Mütter sind, die ihre Arbeitszeit und damit auch ihr Einkommen reduzierten, um die Kinder zu betreuen oder aber, um der Gefahr einer Infektion in ihrem beruflichen Umfeld präventiv entgegenzuwirken.
Frauen leiden vielfach unter den Kollarateralschäden der Pandemie.
Da der Zugang zu den Gesundheitseinrichtungen während Pandemien stark eingeschränkt ist, steigt zeitgleich die Müttersterblichkeit. Während des Lockdowns bricht sich der Druck in erhöhter häuslicher Gewalt und ungewollten Schwangerschaften Bahn. Die Versorgung der Familie – vielerorts noch eine Domäne der Frau – wird in abgelegenen Gegenden schwieriger und gefährlicher.
Geschlechtergleichstellung ist gesellschaftlicher Fortschritt!
Obwohl die Leistung von Frauen in Pandemien überproportional wichtig für die Gesellschaft ist, sind diese gleichzeitig in mehrfacher Hinsicht benachteiligt. Die Gleichstellung der Geschlechter auf allen gesellschaftlichen Ebenen ist der einzige nachhaltige Weg, Gesellschaften krisenfest zu machen.
Die Coronakrise zeigt uns, dass es durchaus möglich ist, ökonomisch harte und moralisch richtige Entscheidungen zu treffen. Beispielsweise war es plötzlich angebracht, die kapitalistische Logik für kurze Zeit aus den Angeln zu heben, um moralisch richtig zu handeln. So wurde beispielsweise die Wirtschaft heruntergefahren, um Menschenleben zu retten. Der französische Präsident Emmanuel Macron forderte in diesem Zusammenhang, dass wir unsere Gesundheitssysteme nicht dem freien Markt überlassen dürfen. Dies, obwohl er kurz zuvor noch viel daran setzte, Frankreichs Wirtschaft liberaler zu machen. Doch Macron erkannte den moralischen Missstand in der Krise und änderte seine Haltung.
Eine Lehre können wir also aus der Coronakrise ziehen: Es ist möglich, moralische Probleme in einer Kooperation von Wissenschaft, Politik und Wirtschaft zu lösen. In jeder Krise liegt auch die Chance, ethische Werte in die Diskussion aufzunehmen. Dies sollte auch für die Schieflage in der Organisation der Gesundheitssysteme gelten. Gesundheit oder Krankheiten von Menschen können keine Ware sein, mit der man immer größere Gewinne macht.
Soweit möglich, sollte auch die immer noch häufig unbezahlte Arbeitsleistung der Frauen im Gesundheitsumfeld transparent dargestellt und entlohnt werden. Schwarzarbeit im häuslichen Umfeld muss energisch bekämpft werden und in versicherte Arbeitsverhältnisse überführt werden. Besonders in Krisen sind typisch weibliche Eigenschaften wie Mitgefühl, Inklusion, Solidarität, Fürsorge und Kooperation wichtig.
Der Weg in eine krisensichere Gesellschaftsstruktur: Wie kann das gelingen?
Eine neue Struktur kann gelingen, wenn Frauen und Männer ihr Leben miteinander respektvoll und wertschätzend gestalten. Unsere globale Gesellschaft – das zeigt uns die Pandemie deutlich, ist schlussendlich mehr als die Summe ihrer Teile.
Unsere Zukunft bildet sich aus unseren Entscheidungen, die von unserem Denken und Fühlen bestimmt werden. Nur gemeinsam können wir uns für eine gute und krisensichere Zukunft einsetzen. Jeder einzelne von uns – jetzt!
Zeit der Weichenstellung
Darum sollte jede und jeder, die/der Frauen in Führungspositionen einstellen kann, es auch tun. Mit jeder einzelnen Entscheidung von Frauen in Führungspositionen wird gleichzeitig der Weg in eine krisenfestere Gesellschaft geebnet. Bei dem Tempo, welches wir derzeit in Sachen Gleichberechtigung fahren, wird es noch 100 Jahre dauern, dort anzukommen.
Das muss sich ändern. Nicht nur im Interesse der Frauen, sondern im Interesse aller! Zwar hat die Covid-Pandemie die Wirtschaft lahmgelegt, bedroht Existenzen und disruptiert ganze Branchen. Doch diese Krise eröffnet uns gleichermaßen ganz neue Möglichkeiten. Heute stellen wir die Weichen für unser Zukunft – dabei kann Morgen möglich werden, was gestern noch undenkbar war. Heute prägen wir nachhaltig, wie die Gesellschaft und Wirtschaft von morgen aussehen wird. Jeder einzelne von uns. Gerade in Sachen Gleichberechtigung sollten wir nicht die Vergangenheit in die Zukunft fortschreiben.
Darum lautet unsere Forderung: Tempo machen und Diversität vorantreiben!
Nicht nur, aber besonders im Gesundheitswesen. Nicht nur, aber auch, um als globale Gesellschaft aus diese Krise mit einer erhöhten Resilienz hervorzugehen. Also Tempo machen in Sachen Gleichberechtigung!