Stille oder ohrenbetäubende Nacht?

Stille Nacht, heilige Nacht ist der Titel des Weihnachtsliedes, welches dieses Weihnachten seinen zweihundertsten Geburtstag feierte. Mehr Menschen denn je scheinen sich Stille zu wünschen. Gleichzeitig hört sich die Realität oft anders an: Lärm – rund um die Uhr!

Heilige Stille und ohrenbetäubender Lärm? Eine Frage von Macht und Ohnmacht?

In naher Zukunft wird der Großteil der Menschen in den Städten der Welt leben und dort neben anderen Hinterlassenschaften vor allem eines produzieren: Lärm! Denn Leben und Lärm sind unvermeidbar miteinander verbunden. Früher war die Welt allerdings nicht leiser. Das Hämmern, Schlagen und Feilen der Handwerker in den mittelalterlichen Gassen muss ohrenbetäubend gewesen sein, beschreiben Historiker. Jede Generation klagte bereits, dass die Welt so laut sei. Theodor Lessing hat schon 1908 die erste Anti-Lärm-Bewegung mit einer „Kampfschrift gegen die Geräusche des Lebens“ ins Leben gerufen.

Lärm ist mehr als Lärm: Er ist eine Demonstration von Macht!

Anders als unsere Augen, können wir unsere Ohren nicht ohne weiteres verschließen. Wir können sie zuhalten oder auch gehen, doch im urbanen Leben – so scheint es – sind wir dem alltäglichen Lärm vollkommen wehrlos ausgeliefert. Geräusche können uns machtlos machen: Lärm kann, ohne jeglichen Körperkontakt, in unseren privaten Raum – zum Beispiel in unser Schlafzimmer – eindringen. Der Lärm der Stadt greift in unser Territorium ein. Rückzug ist häufig kaum möglich. Wir werden vom Lärm besetzt. Er wird zum Feind in unserem Reich.

Beschallt und gefoltert.

Dass Lärm Folter sein kann, wissen wir. Beschallung rund um die Uhr in vollkommen dunklen Räumen wird als Foltermethode benutzt, die Inhaftierten zum Reden zu bringen. Denn über längere Zeit schwächt Lärm zunehmend unsere Willenskraft und Konzentrationsfähigkeit. Dabei ist kaum zu glauben, dass Kinderlieder ein besonders effektives Folterinstrument sind: Melodien aus Fernsehsendungen für Kleinkinder kommen bei der Folter zum Einsatz. So zum Beispiel die Titelmelodie der „Sesamstraße“ von Christopher Cerf.

Macht und Stille zurückgewinnen – aber wie?

Hilfe aus der Forschung? Vor dem Hintergrund der Verstädterung und dem steigenden Lärmpegel verwundert es nicht, dass sich Forscher vielfach mit dem Thema Schallschutz beschäftigen. Eine Methode ist es, Lärm in der gleichen Frequenz aufzufangen, in der er gesendet wird. Dass kann man sich vorstellen, wie eine Billardkugel, deren Lauf durch eine andere aufgehalten wird. Unter Anwendung dieses Prinzips arbeiten Forscher von der technischen Universität Nanyang in Singapur an einem Gerät, mit welchem sie Straßenlärm mit Schall bekämpfen wollen.

Es soll Ruhebedürftigen ermöglichen, trotz Krach vor dem Haus das Fenster zu öffnen. Das Gerät soll hierfür direkt am Fenstergitter montiert werden und mittels eines Mikrofons und einem Lautsprecher genau jene akustischen Wellen, die auf es treffen, berechnen und in Echtzeit das entgegengesetzte Wellenmuster zurückwerfen. Dadurch wird der Lärm gebremst oder sogar ausgelöscht. Es soll dann – sogar bei geöffnetem Fenster – kein Straßenlärm im Zimmer zu hören sein. Bisher handelt es sich allerdings um einen Prototyp und die serienmäßige Umsetzung lässt auf sich warten. Was können wir noch tun, um uns von unserer Ohnmacht und dem Lärm zu befreien?

Freiheit beginnt im Kopf: Ein Bewusstsein für die Wahrnehmung und Definition von Lärm.

Wer jemals mit einem Teenager zusammengelebt hat, weiß, dass zwischen einem objektiven Geräusch und subjektiver Wahrnehmung des Geräusches unterschieden werden kann. Denn jeder akustisch wahrnehmbare Ton ist ein Geräusch. Doch, ab wann wir ein bestimmtes Geräusch als Lärm empfinden, ist individuell verschieden. Wie beispielsweise die Musik, die aus den Zimmern der pubertierenden Mitbewohner schallt und diesen ganz offensichtlich nicht als unerträglicher Lärm erscheint. Ebenso empfinden wir das Kreischen von Möwen und das Rauschen von Wellen weniger als Lärm. Es lohnt sich also, herauszufinden, warum und wann wir Lärm als eben solchen empfinden.

Persönliche Strategien zur inneren Stille.

Neben einem geschärften Bewusstsein für unserer Wahrnehmung und Definition von Lärm, können wir zur inneren Stille gelangen. Theodor Itten gibt in „Von der Kunst der Stille bis zur befohlenen Ruhe“ praktische Hinweise, wie Menschen zu innerer Stille gelangen können. Der Rückzug vom Ort des Lärmes gehört selbstverständlich dazu. Helfen soll auch, bei Lärm die Augen zu verschließen, um weitere Einflüsse von außen auszuschalten. Wer dann sein Kinn in Richtung Herz fallen lässt, um die Geräusche seines Körpers zu hören – wie den eigenen Herzschlag – wird zunehmend innere Ruhe finden, verspricht er. Voraussetzung sei allerdings, dass man täglich zur gleichen Zeit die innere Einkehr übt.

Ich habe mir zu diesem Zweck die wundervolle App Calm auf mein Handy geladen, mit der ich jeden morgen zehn Minuten Meditation übe, um zur inneren Stille zu gelangen. Es wirkt schon!

Ich wünsche Euch von Herzen einen stillen beziehungsweise einen „geräuscheharmonischen“ zweiten Weihnachtstag!

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