Freundschaft mit einer Gottesanbeterin

Unsere erste Begegnung

Sie ist in den Pool gefallen. Eigentlich wollte sie nur ein Schlückchen trinken. Seit Monaten hat es nicht geregnet, denn dies ist ein heißer und trockener Sommer. Ich verbringe meine Ferien hier. Um mich zu kühlen, verweile ich häufig an dem kleinen
Schwimmbecken, welches zu unserer Unterkunft gehört.

Da ich mich aufgrund eines Unfalls nicht viel bewegen kann, ist es dort am angenehmsten für mich. Der Pool scheint in der Insektenwelt als zuverlässige Wasserquelle bekannt zu sein.

Alle erdenklichen Spezies lassen sich dort beobachten

In der Nacht kommen sogar Schlangen den Berg herunter, um zu trinken. Zahlreich treiben sich auch Fledermäuse für eine nächtliche Erfrischung dort herum. Auch die Katzen, Hunde und diverse Vögel des Dorfes trinken hier in der Dämmerung. Der Pool ist ein richtiger Treffpunkt. Ich glaube, es hat sich bei allen Tieren oberhalb des bewaldeten Berges herum gesprochen, dass man hier Erfrischung finden kann.

Der Unfall

Ich war im Wasser und beobachtete eine Gottesanbeterin – lateinisch Mantis Religiosa und Insekt des Jahres 2017 – wie sie sich vom Beckenrand zum Wasser hinab beugte, um zu trinken. Genau in dem Moment, als sie einen erfrischenden Schluck aus dem Pool nehmen wollte, machte meine Tochter einen Kopfsprung ins Wasser und verursachte damit Wellengang. Einen Mantis Religiosa – Tsunami, genau genommen.

Plumps – war es passiert – eine Welle erfasste die Gottesanbeterin. Sie fiel ins Wasser und drohte zu ertrinken, um dann letztlich in die Wasser – Reinigungsanlage eingesaugt zu werden. Ein nasses Grab, in welchem zahlreiche Insekten starben.

Obwohl sie selbst eine gnadenlose Jägerin ist und sogar keine Skrupel hat ihren eigenen Mann nach dem Geschlechtsakt zu verzehren – empfand ich Mitleid und rettet sie. Sicherheitshalber mit dem Oberteil meines Bikinis, denn auf die Hand nehmen mochte ich sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Ihr kleines Gesicht sah nachdenklich aus

Ich setzte sie am Beckenrand ab und beobachtete vom Wasser aus, was sie nach der Rettung tat. Immer wieder streifte sie mit ihren Armen ihr Gesicht, rieb die Fühler
aneinander – machte Verrenkungen, um sich zu trocknen und schüttelte sich regelrecht.

Sie war ganz und gar mit Instandsetzungsarbeiten beschäftigt. Man sah deutlich, dass das Wasser sie beschwerte und sie bewegungsunfähig machte. Plötzlich hielt sie inne. Es sah aus, als würde sie – nach dem ersten Schreck – überlegen, was ihr gerade passiert sei.

Ganz still verhielt sie sich und ihre Augen versuchten offenbar, mich zu erfassen. Ein Versuch, der in Anbetracht unserer unterschiedlichen Körpergrößen etwas schwierig für sie gewesen sein muss. In dem Moment, als sie mir ins Gesicht blickte, mit dem ich über dem Beckenrand schaute, durchfuhr sie ein Schreck. Genau dann, als wir uns tief in die Augen schauten, zuckte sie heftig zusammen und flog im gleichen Moment fort, in Richtung Wald. Ich bin sicher, sie hat realisiert, dass sie mindestens einer ebenso merkwürdigen Kreatur wie sie selbst Auge in Auge gegenüber stand.

Am nächsten Tag ist sie wieder da

Schade – dachte ich mir. Sie war interessant anzusehen, ein bisschen wie ein winziger Alien. Sehr unterhaltsam für mich, da ich die meiste Zeit mein Bein schonen muss und mich nicht bewegen kann. Am nächsten Tag – ich saß im Schatten auf einem Stuhl – am Pool, kitzelte etwas meinen Rücken. Ich fürchtete, es könne eine Wespe sein und wollte diese gerade mit meinem Sonnenhut verscheuchen, als ich die Gottesanbeterin hinter meinem Rücken auf der Stuhllehne entdeckte. Sie klopfte mir mit ihren langen Fühlern von dort aus auf den Rücken und betastete mich. War sie etwa wieder gekommen?

Eine Jägerin bei der Arbeit

Ich sehe sie jeden Tag und erkenne sie an einem kleinen Punkt auf ihrem linken Flügel. Ihrem Tagwerk schaue ich gerne zu. Sie ist eine exzellente Jägerin – jagt und tötet
andere Insekten, sogar Wespen, um diese anschließend genüsslich zu verspeisen. Nach ihren Mahlzeiten putzt sie mit ihren langen Armen ausführlich ihr kleines Gesicht. So üppige Mahlzeiten machen offenbar auch Gottesanbeterinnen durstig. Darum stelle ich ihr nun immer einen kleinen Teller mit Wasser hin, an dem sie gefahrlos trinken kann. Erstaunlich – wie viel Wasser in eine Gottesanbeterin passt.

Eine seltsame Art Freundschaft empfinde ich für sie

Bevor sie weiter hüpft, legt sie den Kopf schief und schaut mir ins Gesicht. Hoffentlich habe ich jetzt Karma-Punkte gesammelt mit dieser Rettungsaktion und werde nicht als Ehemann einer Mantis Religiosa wieder geboren. Das stelle ich mir nämlich ziemlich unangenehm vor.

Ich bin froh, dass ich weiblich und die größere von uns beiden bin. Es ist viel leichter, Freundschaft zu empfinden, wenn man von seiner Freundin nicht gefressen werden kann.

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