Sie stand am Fenster. Danach war sie für immer verschwunden.
Ein Plan von Teenagern.
Antje und ihre Freundin waren Teenager in diesem Sommer – Mitte der neunziger Jahre. Wie alle Heranwachsenden hatten sie Geheimnisse vor ihren Eltern und – eine heimliche Verabredung in der Nacht.
Die beiden fieberten dem Wochenende entgegen, an welchem Antjes Freundin übernachten wollte. Das würde die Stunde ihres nächtlichen Ausbruchs aus der elterlichen Wohnung sein. Die Gastgeberin wohnte mit ihrer Familie gegenüber einem Friedhof. In einem älteren Haus, welches in diesem Sommer renoviert wurde.
Umsetzung mit Vertuschung.
Kaum schliefen Antjes Eltern, kletterten sie aus dem Fenster. Über das Baugerüst nach draußen – in die Freiheit. Das Fenster ließen sie den kleinst möglichen Spalt auf und zogen die Gardinen – soweit es ging – von außen wieder zu. Sie wollten jegliches Verdachtsmoment vermeiden. Draußen angekommen, gingen sie auf die andere Straßenseite. Von dort warfen die Teenager einen prüfenden Blick auf das Fenster, um ein letztes Mal ihre Tarnung zu checken.
Sie erstarrten vor Schreck.
Beide erschraken beim Blick auf das Fenster. Waren sie schon so schnell aufgeflogen? Wie haben ihre Eltern das so zeitig bemerkt? Dort oben – im ersten Stock stand jemand im Fenster – eine Frau. In der Dunkelheit konnten sie ihren Schatten erkennen. Sie hatte das Fenster wieder geöffnet und die Gardine zurück gezogen. Im Spalt der Gardine zeigte die Gestalt mit dem Finger auf die Mädchen. Kein Geräusch kam aus ihrem Mund. Stumm forderte sie mit dem Zeigefinger zur Rückkehr auf.
Das roch nach Ärger.
Wer anderes als Antjes Mutter hätte diese Frau sein sollen? Wie
seltsam, dass sie nicht gerufen hatte. Wahrscheinlich war die Mutter sehr wütend,
vermuteten die beiden. In Erwartung der elterlichen Sanktion kehrten sie
umgehend und ängstlich zurück.
Kein Ärger dafür blankes Entsetzen.
Zurück angekommen im ersten Stock, fanden sie das
Fenster geöffnet und die Gardine zurück gezogen vor. Gegen alle Erwartung
wartete dort keine wütende Mutter. Im Gegenteil: Alles war ruhig in der Wohnung. Antje ging in das Schlafzimmer ihrer Eltern. Dort schliefen alle fest. Wer war die
Frau am Fenster gewesen?
Jahre später bleibt das Rätsel ungelöst.
Noch immer beteuern die Eltern, dass niemand von ihnen etwas von
dem nächtlichen Ausflug bemerkt habe. Keiner der beiden stand am
Fenster.
Noch heute können die Freundinnen sich – so viele
Jahre danach – den Vorfall nicht erklären. Immer noch schauern sie bei der
Erinnerung daran. Keine von beiden ist je wieder in der Nacht ausgebrochen.
Sie
glauben, dass sie ein Geist zurück gerufen hat.
Ein Geist am
Fenster, den sie danach nie wieder gesehen haben.