Making Peace with Nature – Wer ist Sandra Prüfer?

Interview und Foto von Corinna Heumann

Sandra Prüfer wurde in den späten 60er Jahren im rheinischen Neuss geboren. Nachdem sie eine Ausbildung zur Verlagskauffrau bei der Rheinischen Post abgeschlossen hatte, studierte sie Publizistik, Politologie und Romanistik in Münster, Paris und Berlin. Dort arbeitete sie während des Hauptstudiums im ehemaligen Defa Studio. Heute lebt sie mit ihrer Familie in der UN Klimastadt Bonn. 

Was treibt Dich an, Sandra?

Mich treibt die Frage an, ob wir unsere Mutter Erde auch mit Kunst, Poesie und Musik heilen können? Nach UN-Generalsekretär António Guterres ist es die entscheidende Aufgabe des 21. Jahrhunderts, Frieden mit der Natur zu schließen.

Dein Berufseinstieg erfolgte in der Film- und Fernsehbranche? 

Das Studio Babelsberg suchte damals händeringend nach einer Person, die Französisch konnte und auch Deutsch. Sie sollte dazu von Medien ein wenig Ahnung haben. Im Nachhinein könnte man meine Rolle – in Marketing & Kommunikation – auch als intercultural bridge builder und trouble shooter/Problemlöserin bezeichnen. Die Defa war von der Treuhand gerade an die Compagnie Générale des Eaux verkauft worden mit dem Ziel, die Medienstadt Babelsberg aufzubauen. Back then this was a crazy intercultural Wild East!

Wie bist Du zum Thema Umwelt- und Klimaschutz gekommen?

1995 fand die erste Klimakonferenz COP in Berlin statt. Angela Merkel war damals Umweltministerin. Ich habe die Konferenz in dem Glauben verfolgt, die Politik wird es schon richten und die Medien darüber berichten. Im Studium beschäftigte ich mich zu dieser Zeit mit europäischer Medienpolitik und Medienstandortpolitik, sowie mit der technisch-digitalen Transformation im audiovisuellen Sektor. Nach meinem Studium und der Tätigkeit für die Bertelsmann-Tochter UFA wollte ich 1996 dahin gehen, wo die digitale Revolution tatsächlich stattfindet und bin mit meinem kalifornischen Freund in die San Francisco Bay Area gezogen. Es  fiel mir sofort auf, wie viel weiter man dort mit erneuerbaren Energien bereits war, mit Windrädern und Photovoltaik-Anlagen. Begeistert tauchte ich in die lokale Nachhaltigkeits- und alternative Kulturszene ein. Ich besuchte die ersten Critical Mass Rides in San Francisco und das Burning Man Festival.

Welcher Weg führte Dich vom California Dreaming in die Northern Exposure?

Mitte der 1990er Jahre schaute man noch Fernsehen. Eine populäre US-Serie mit witzigen Charakteren war ‚Northern Exposure’ oder ‚Ausgerechnet Alaska‘. Sie spielte in einer fiktiven Kleinstadt in Alaska. Während ich in San Francisco für hippe Internet-Startups und als freie Journalistin für deutsche Medien tätig war, arbeitete Joe, derweil mein Ehemann, als Pilot und Fluglehrer. Er hatte den Traum, für eine Weile als Buschpilot in Alaska zu leben, in entfernten Gegenden, die nicht an das Straßennetz angeschlossen sind. So landete ich 1999 in Bethel, eine 5000-Seelen-Gemeinde am Kuskokwim River in West-Alaska, umgeben von flacher Tundra, einer Mondlandschaft mit vielen Seen, die sich im Winter in eine weiße Wüste aus Schnee und Eis verwandelt. Die Menschen sind mehrheitlich Yup’ik Eskimo und leben vom Fischfang. Ich bekam das Angebot, als “fliegende Reporterin” für die “Tundra Drums , the Beat of the Yukon-Kuskokwim Delta” zu arbeiten. Sie wurde von der Alaska Newspaper Inc. herausgebracht und von Alaskan Natives geführt. Kurz darauf kündigte die lokale Redakteurin. Ich fand mich plötzlich alleine in der Redaktion und bekam gleichzeitig einen Anruf vom Governor’s Office. Es ging um das Fishing Disaster. Lachse waren nur in geringer Zahl zurückgekommen. Kommerzielle und Subsistenz-Fischerei waren daher verboten worden. Governor Knowles wollte kommen, um sich mit lokalen Fischern zu treffen. Ich sollte den Besuch pressemäßig begleiten, wusste aber nichts über den pazifischen Lachsfang. Ich begann zu recherchieren. Ein Biologe vom Alaska Department of Fish & Game gab mir einen Bericht und lud mich ein, mit ihm nach Quinhagak zu fliegen, in eines der betroffenen Yup’ik Fischerdörfer.

Welche Erfahrungen prägen Dein Leben in Alaska: WTF is this Alaskan Fishing Disaster?

Bei der Dorfversammlung ging es hoch her. Die Dorfbewohner waren aufgeregt und verzweifelt. Sie wollten vom staatlichen Fischereimanager wissen, warum die Lachse nicht mehr aus dem Meer zum Laichen zurückkehrten. Die  Biologen waren ratlos: man müsse das zunächst mal erforschen. Nach ihrer Ansicht könnte das mit “Ocean Survival” zusammenhängen. Ich stellte die Frage, ob es eventuell mit dem Klimawandel zu tun haben könnte. Daraufhin bekam ich großen Beifall von den Yup’ik Elders, den Dorfältesten, “Du bist die Erste, die die richtigen Fragen stellt!” Noch befragten  Forscher nicht indigene Bevölkerungen, obwohl diese schon seit vielen Jahren Veränderungen in der Natur bemerkten. Erst ein Jahr darauf startete das internationale Argo-Programm zur systematischen Erforschung der Weltmeere mit automatisierten Treibbojen für Wassermessungen, Beobachtungen durch Satelliten und deren Auswertung zur Klimaüberwachung.

Der Großteil von Alaska befindet sich auf Permafrostboden. Das Auftauen des Permafrosts setzt Unmengen an Treibhausgasen frei. Bodenerosion und weitere dramatische Folgen der Erderwärmung waren dort bereits in den Nuller-Jahren sichtbar. Wissenschaftler fanden später heraus, dass sich die Arktis doppelt so schnell wie der Rest der Welt erwärmte. Als Lokalreporterin habe ich schon damals viel darüber geschrieben und  Forschungsteams begleitet. Temporär habe ich auch für das Alaska Department for Fish & Game, sowie für die Nome Nugget, die älteste Zeitung Alaskas, gearbeitet. In dieser Zeit habe ich mir viel Wissen erworben.

Du hast die ersten Klimaflüchtlinge getroffen. Wie wurde damals in Deutschland und Japan berichtet?

Darüber wollte ich auch in deutschen Medien berichten. Ich schilderte den Redakteuren, wie damals bereits Küstendörfer an der Beringsee weggespült wurden und das Artensterben in vollem Gang war. Es gab die ersten Klimaflüchtlinge, die Yup’ik und Inupiaq Eskimos. US-Medien und sogar das japanische Fernsehen tauchten auf einmal in Nome auf, um darüber zu berichten. Doch in Deutschland interessierte man sich nur für die bedrohten Eisbären. Ich wurde meine Geschichten leider nicht los. In Deutschland konzentrierte sich die Klimaberichterstattung seinerzeit auf Politik und Wissenschaft und eben nicht auf die Menschen, deren Lebensgrundlage und traditionelle Lebensweise bedroht waren. In Deutschland fühlte man sich nicht betroffen. Das hat sich glücklicherweise mittlerweile geändert.

Laut einer 2022 veröffentlichten Studie des Finnischen Meteorologischen Instituts hat sich die arktische Region in den letzten 43 Jahren sogar viermal schneller erwärmt als der globale Durchschnitt. Man hat festgestellt, dass bisherige Klimamodelle die sogenannte polare Verstärkung unterschätzen. Zwischen 2020 und 2022 gab es erneut dramatische Einbrüche in den Lachs- und Krabben-Populationen in Alaska, in deren Folge das US-Handelsministerium 216 Millionen US-Dollar an Katastrophenhilfe für die betroffenen Regionen bereitstellte. Ein Teil des Geldes soll auch in Forschungsprogramme fließen.

Eine weitere Station in Deiner Arbeit war in Chicago. Wie kam es dazu?

Mit unserer in Alaska geborenen zweijährigen Tochter zogen mein Mann und ich 2004 von Nome nach Chicago. Dort wurde unser Sohn geboren. In Chicago begann ich für Rotary International zu arbeiten. Ich war zuständig für Media Relations in Afrika, Europa und im Nahen und Mittleren Osten – inklusive Peacebuilding, Entwicklungs- und Umweltprojekte. Auch in meinem neuen Tätigkeitsbereich wurde ich immer wieder mit den Veränderungen des Klimas und den Auswirkungen des Klimawandels auf die Menschen konfrontiert: extreme Wetterereignisse und Naturkatastrophen.

Die Reise nach Kenia?

Bei einem Dreh in Kenia, bei dem es eigentlich um Peace and Conflict Resolution ging, war ich in einem Massai Dorf. Dort waren alle Tiere entweder verdurstet oder ganz abgemagert. Das Dorf bestand nur noch aus Alten, Frauen und Kindern. Alle Männer waren weggezogen, um in den Slums der größeren Städte Geld zu verdienen. Auf die Frage nach den Wurzeln der Konflikte, antworteten die Massai, dass es an der Ressourcenverknappung, am Wassermangel, an Verteilungskämpfen, am Bevölkerungswachstum und schließlich am Klimawandel liege.

Die Mission?

Mit diesen Erkenntnissen machte ich kreatives kollaboratives Storytelling und Wissenstransfer zu meiner Mission. In Zusammenarbeit mit interdisziplinär arbeitenden Künstlerinnen und Künstlern versuche ich, Menschen emotional zu erreichen und darüber in den Dialog zu treten. Über den rheinisch-politischen Karneval verbreitet sich Klimakunst beispielsweise in der Populärkultur. Die brennende Känguru-Figur wurde von Jacques Tilly für den Düsseldorfer Rosenmontagszug 2020 kreiert. Der Zug fiel damals aus. Mit der Hilfe von Parents for Future haben wir seine Figur für die Aktion von Düsseldorf in die UNO Stadt Bonn in Vorbereitung der nächsten Klimakonferenz gebracht. Dazu gibt es die Parachutes for the Planet, eine globale Climate Artivism Initiative, die seinerzeit vom Mother Earth Project in Chevy Chase bei Washington, D.C. gestartet  wurde. Das ausgestellte PEOPLE OVER PROFIT Ensemble wurde von Klimagruppen in Tacoma im US-Staat Washington bemalt. Darüberhinaus zeigen wir eine Auswahl von Gedichten eines anonym bleiben wollenden holländischen Klimaforschers aus der Reihe And They Left Us a Broken Planet.

Können wir die Mutter Erde mit Kunst, Poesie und Musik heilen?

Ohne die verschiedenen Kunstformen als authentischer menschlicher Ausdruck der emotionalen Verarbeitung von Erkenntnissen, von Dialog und Empathie, gibt es keinen Fortschritt. Menschen können über positive Vorstellungskraft und deren Ausdruck in Utopien einer friedlichen Zukunft im Einklang mit der Natur inspiriert werden, um die notwendigen Energien für Veränderung zu mobilisieren.

Um die planetaren Krisen unserer Zeit und den Übergang vom fossilen ins erneuerbare Energiezeitalter zu bewältigen, müssen wir das Narrativ ändern, hin zu Lösungen und Möglichkeiten. Wir müssen neue Kommunikationswege finden, Menschen auch emotional anzusprechen, zu inspirieren und miteinander ins Gespräch zu bringen. Dazu braucht es mehr denn je Kunst und Kultur.

Danke für das Gespräch!

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