Uhrmacher-handwerk und Kunstmechanik sind Weltkulturerbe

Text und Bild von Corinna Heumann

Es bebt vor Liebe… – das mechanische Herz der Olympia: Uhrmacherhandwerk und Kunstmechanik sind seit kurzem Weltkulturerbe.

Liebe zu Präzision und Perfektion

Mit exquisitem Humor spielt Jacques Offenbach in seiner Oper Hoffmanns Erzählungen mit der menschlichen Sehnsucht nach Perfektion. Während ihrer Arie über die Liebe fällt die mechanische Puppe Olympia auseinander. Ist die menschliche Seele vom vermeintlichen Chaos in der Welt überfordert? Bringen Maschinen, Roboter und Künstliche Intelligenzen tatsächlich eine verstehbare Ordnung in die Welt? Oder stellen Liebe und Streben nach Perfektion und Präzision unerreichbare Utopien dar?

Seit 2021 sind die Uhrmacherkunst und Kunstmechanik als immaterielles Kulturerbe in die Liste des Unesco-Weltkulturerbes aufgenommen. Im Gegensatz zu Gebäuden oder herausragenden Stadtbildern beschreibt dieser immaterielle Teil des Menschheitserbes gemeinschaftliche Praktiken und gesellschaftliche Interaktionen. Die gemeinsame Kandidatur von Frankreich und der Schweiz ist nun anerkannt. Die jahrhundertealten europäischen Traditionen der feinmechanischen Erfindungskraft in der Uhrmacherkunst im französischen und schweizerischen Jura, in Genf und Schaffhausen, Biel und Besançon werden angemessen gewürdigt und für die Zukunft gesichert. 

Die Zeitmessung prägt die Entwicklungen der Seenavigation und Industrialisierung

John Harrison löst mit der Genauigkeit seiner Schiffsuhr das Längengradproblem. Der historische Nullmeridian am Transit House der Sternwarte in Greenwich und der rote Ballon erinnern heute noch daran, dass die damals aus dem Londoner Hafen ausfahrenden Schiffe ihre Uhren nach der Greenwich Time stellen. 100 Jahre später gibt die Stechuhr den Arbeitern und Arbeiterinnen in den Fabriken den Takt vor. Im industriellen Zeitalter wird sie zum Symbol für Ausbeutung und Klassenkampf. Damit Arbeiter und Angestellte pünktlich zur Arbeit erscheinen, unabhängig davon,  wann die Sonne aufgeht, beginnen Werkstätten und kleinere Fabriken im Schwarzwald günstige, robuste Holzuhren mit Weckfunktion zu bauen.

Metallbearbeitung und Rechenkunst  – die komplexe Technik der Räderwerke

Traditionellen Techniken der Bearbeitung unterschiedlichster Metalle, die Berechnung von Getrieben, sowie die Herstellung von Rädern und Trieben führen zu erstaunlichen, hochkomplizierten mechanischen Systemen. Die chinesische astronomische Uhr von Su Song (ab 1086) besitzt bereits eine Ankerhemmung. In Europa gelingt die Erfindung der Hemmung, die auf den drei klassischen Schwingsystemen (Pendel, Unruh, Foliot oder Waag) beruht, englischen Uhrmachern ungefähr zwischen 1685 und 1720. Die Uhren werden ferner mit Zusatzsystemen ausgestattet: Schlagwerke und komplizierte Anzeigen, die Planetenbewegungen, Mondphasen oder das Datum darstellen. Spieluhren lassen zu prächtig geschmückten, tanzenden Figurinen mechanisch erzeugte Melodien erklingen. Mit der Erfindung der Unruh und Zugfeder um 1500 entsteht die erste tragbare Taschenuhr. 

Astronomische Uhren

Die Dreikönigsuhr im Straßburger Münster wird von 1352 bis 1354 von einem unbekannten Meister gebaut. Heute kann man die voll funktionsfähige, dritte Variante der gut erhaltenen beeindruckenden astronomischen Uhr bewundern. Diese wird am 2. Oktober 1842 aus Anlass des 10. Kongresses der Wissenschaften in Frankreich zum ersten Mal in Gang gesetzt. Sie stellt die Erd- und Mondbahnen dar, diejenigen der damals bekannten Planeten, Tagundnachtgleiche, Sonnenaufgang, Sonnenuntergang, Finsternisse, Planetenorte, Sternzeit und viele weitere astronomischen Daten. Ihr Kalender zeigt Schaltjahre, bewegliche Feiertage, Sonnen- und Mondgleiche und darüberhinaus. Jede größere Kirche besitzt in den vorangegangenen Jahrhunderten eine astronomische Uhr. Sie bestimmen den Lebensrhythmus im Ort. In Münster und Lübeck konnten die astronomischen Uhren ebenfalls erhalten werden.

Uhren und sozio-kultureller Kontext

Im Uhrmacherhandwerk gelangen traditionelle Handwerkstechniken im sozio-kulturellen Kontext zur Blüte. Sie werden über viele Generationen weitergegeben und leisten bis heute ihren Beitrag zur Entwicklung der Menschheit. Die komplexen Funktionsweisen erfordern nicht nur technisches, sondern auch mathematisches Fachwissen. Uhren und ihre Räderwerke systematisiert man immer weiter und baut schließlich mechanische Rechenmaschinen. Sie gelten heute als die analogen Vorgänger der Computertechnik. In Deutschland gibt uns heute die Cäsium Atomuhr CS2 in Braunschweig den Takt vor. Dennoch sind wir von der erträumten Perfektion immer noch ein kleines Stück weit entfernt…

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