Der Weg ist nicht das Ziel (13/52 – Terraismus)

Ilustration von Susanne Gold/ Text von Ted Ganten
In diesem Film erfährst du mehr über „Terraismus“.

Ziele ohne Weg

Sich mit klaren Worten und guten Argumenten gegen die derzeitigen Macht- und Marktverhältnisse auszusprechen ist en vogue. Wenige bieten auch neue Ziele an. Dort wo dies geschieht, zum Beispiel bei populäre Gegenwartsphilosophen wie Thomas Gabriel, Rutger Bergman, Richard David Precht oder Yuval Noah Harari, werden kaum klare Wege angeboten, diese Ziele zu erreichen.

Ziel mit steinigem Weg

Deutlich umsetzungsorientierter sind Konzepte einer kooperativen Marktwirtschaft, die sich am Gemeinwohl statt an Gewinnmaximierung orientieren wollen. Hier gibt es einige bemerkenswerte sehr linkslastige Ideen, die auch einen Impetus zur politischen Umsetzung beinhalten. Einer der bekannteren Vertreter der Gemeinwohlökonomie ist Christian Felber. Da sie aber alle gesetzliche Änderungen in den Nationalstaaten und regionalen Verbünden voraussetzen und darüber hinaus herausfordernd im internationalen Umfeld sind, bedarf es eines hohen Energie- und Zeitaufwandes, diese umzusetzen. In der Vergangenheit bin ich an diesem Punkt oft gedanklich ausgestiegen. Der UNO einen neuen Auftrag zu geben, ein gemeinwohlorientiertes Weltsteuer- und Finanzrecht zu etablieren oder die Nationalstaaten für eine Idee zu begeistern, in der sie keine entscheidende Rolle mehr spielen, ist ein eher dickes Brett. Zwei weitere Anstöße hat es für meine Idee zur Umsetzung gebraucht. Zunächst die Anstöße, dann die Idee.

Anstoß 1: Collective Actions

Als Jurist und Compliance Officer für einen mittelgroßen Konzern durfte ich mich mit „Collective Actions“ befassen. Dabei kommen unterschiedliche Interessengruppen zusammen, um sich gewisse Compliance Regeln zu geben. In meinem Fall ging es darum, dass konkurrierende Wettbewerber sich im Rahmen einer internationalen Industrievereinigung darauf einigen, ob man beispielsweise Ehepartner von Kunden mit zum Essen einlädt, wieviel ein Essen pro Person kosten darf, wieviel Unterhaltungsanteile ein Training für Kunden beinhalten kann etc. All diese Fragen sind in jedem Land anders geregelt und der Marktdruck „zwingt“ jeden Wirtschaftsteilnehmer vermeintlich dazu, in jedem Land an die Grenze des Zulässigen zu gehen. Dabei ist es – im Gegensatz zur landläufigen Meinung über die Industrie – gar nicht im Interesse der Akteure, sich im Graubereich des Rechts zu bewegen oder auch nur möglichst viele Einladungen zu finanzieren. Dieser Logik folgend war es überraschend einfach, sich im Rahmen der Organisation auf einen in allen Nationalstaaten zulässigen gemeinsamen Nenner zu einigen, der einfach und nachvollziehbar ist. Man hat sich freiwillig, ohne Druck und über Unternehmensgrenzen hinweg dazu entschlossen, die strengsten Compliance Regeln aus allen Bereichen international anzuwenden. An einigen Stellen sind die Wettbewerber sogar darüber hinaus gegangen, weil es einfacher schien, alle Geschenke zu verbieten, als solche für Jubiläen oder Beförderungen von Kunden auszunehmen und sich dann noch auf Wertgrenzen zu einigen. Die Erfahrung hat mich nachhaltig beeindruckt.

Nur Lippenbekenntnisse?

Industrievereinigungen sind Vereine. Im Rahmen von „Collective Actions“ können sie sich neben bindenden Regeln für die Mitglieder auch Auditrechte bei ihren Mitgliedern einräumen lassen und Mediations-/Schiedsgerichtsstellen für Streitfälle gründen. Wenn sie sich auf Regeln einigen, die mindestens so scharf sind wie in den striktesten Ländern, können ihnen danach die Gesetze der Mitgliedsstaaten in diesem Bereich egal sein. Sie müssen sich nur an den in der Collective Action vereinbarten Kodex halten. Die Überwachung durch den Verein lassen sie gerne geschehen. Zum einen garantiert das ein „level playing field“ und zum anderen sind die Strafen „nur“ finanzieller Natur. Kein Rufverlust. Kein Blacklisting. Kein Gefängnis.

Konzerne sind böse?

Wollen Konzerne Kinderarbeit, Korruption, Umweltverschmutzung und Steueroasen? Die Antwort ist – bis auf wenige Ausnahmen: Nein. Sie werden durch die unterschiedlichen Gesetzgebungen der Nationalstaaten im Markt dazu getrieben, Vorteile auszunutzen, um dem Kunden möglichst niedrige Preise zu ermöglichen. Die Kunden dafür zu verurteilen, dass sie noch nicht im großen Stil bereit sind, Aufpreise für Fair Trade Produkte und Bedingungen zu zahlen, hilft auch nicht weiter. Es besteht in der Industrie der Wunsch, jedenfalls aller großen internationalen Konzerne nach klaren und menschenwürdigen Regeln für den weltweiten Wettbewerb. Durch die vielfach überbewertete Lobbyarbeit der Konzerne wehren sie sich nur gegen regionale oder nationalstaatliche Regeln, die ihnen zwar vielleicht ein gutes Gewissen – aber eben auch international einen noch stärker verzerrten Wettbewerb bescheren. Entscheiden sollten die Idee, das Produkt und die Leistung. Die COMBAT Charta der UN beinhaltet die wesentlichen Forderungen für weltweites Fairplay. Leider richtet sie sich an die Nationalstaaten, die ein anderes Interessegefüge haben. Im Existenzkampf neigen dann Konzerne dazu, den finanziellen Anreizen, wie beispielsweise Tiefstlöhne, die durch die Zulassung von Kinderarbeit begünstigt werden, zu folgen.

Wenn Collective Actions so gut funktionieren, warum sind nicht längst alle Probleme des Planeten durch Wirtschaftsverbände gelöst?

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