Das Leben ist kurz, die Kunst bleibt

Text und Bild von Corinna Heumann

Vita brevis – ars longa, Mega-Retrospektiven, futuristische Museumsbauten, Biennalen, Triennalen, Blockbuster-Ausstellungen, Gallery Weekends und Sensations-Auktionen, bei denen man dabei gewesen sein muss – was bleibt von der Ära des Kunst-Booms und seinen immer höheren Verkaufs-Rekorden?

Klimawandel als Unterhaltungsprogramm

Der bei diesen Veranstaltungen entstandene CO2 Ausstoß erschien uninteressant angesichts der Beflissenheit, mit der weltweit zeitgenössische künstlerische Positionen zu ergründen waren. Basel, Miami, Venedig, London, Abu Dhabi und Shanghai –  man mußte vor Ort sein, um den Werken der universalen Meister zu folgen, den Richters, Koons’ und Ai WeiWeis. 

Aktuellere Fragen, ob nun Venedig untergeht, die Akropolis zerbröselt oder Pharaonengräber geplündert werden, blendete man aus. Sie riefen zumindest weder einen nennenswerten Sinneswandel, noch Verhaltensänderungen hervor. Es entstand eher der Eindruck, dass man es mit einem gewissen, elitären Fatalismus persönlich wichtig fand, Augenzeugen ihres welthistorischen Zerfalls zu werden.

Das Anthropozän: Das vom Menschen geprägte erdgeschichtliche Zeitalter

Steht in diesem Zeitalter mit dem Klimawandel auch der Ewigkeitscharakter von Menschheitszeugnissen zur Disposition? Oder bedeutet die COVID-19 Krise nur das Ende des Hypes um den Kunstmarkt, weil sich sein finanzkräftiges Publikum auf abgeschiedene Anwesen, auf Luxusjachten oder private Inseln zurückzieht? Erscheint die Kunst inzwischen so wertlos, dass man diese menschlichen Wunderwerke der Nachwelt nicht mehr unversehrt übergeben muss, weil der Planet für den Menschen sowieso unbewohnbar wird?

Kulturen entwickeln sich auch in Krisen

In den letzten Monaten konnte man beobachten, dass sich die Kunst- und Ideenproduktion keineswegs im Lockdown befand. Künstlerinnen und Künstler nutzten diese plötzliche Ruhe im sonst hypernervösen Kunstgeschäft zum Auffüllen ihrer kreativen Reservoire. Die künstlerische Avantgarde stellt hier nicht mehr den Menschen, sondern die Verletzlichkeit unseres Planeten in den Mittelpunkt.

Die Natur und der zerstörende menschliche Eingriff werden zum Thema

Man denkt darüber nach, Kunst ohne Zerstörung natürlicher Ressourcen herzustellen. Daraus folgen beispielhafte Projekte klimaneutraler Behausungen in urbanen Biotopen zu schaffen. Man baut zurück. Naturnahe Gebiete werden ausgeweitet und ihrem natürlichen Gleichgewicht überlassen. Betonburgen der Stararchitekten von gestern sprengt man. Der Lockdown zeigte, dass die plötzliche Ruhe in den Ruinen der Industrialisierung sogar wieder wilde Planzen und Tiere zum Vorschein kommen läßt. Lebensformen, von denen man dachte, sie seien bereits ausgestorben.

Interdisziplinarität und Kreativität

Der Hype um das Künstler-Ego ist out. Forschende Künstlerinnen und Künstler entwickeln gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern CO2 neutrale, kooperative Lebens- und Arbeitsformen in der renaturierten Stadtlandschaft oder im naturnahen Umfeld. Gesellschaftspolitische Fragen in Bezug auf nachhaltige Kunstproduktion rücken in das Blickfeld. Man setzt in Kunstprojekten auf das Erleben von Natur zur Bewusstseinsänderung innerhalb der Konsumgesellschaft. Zukunftweisende Nachhaltigkeit als interdisziplinärer Inhalt steht im Vordergrund, um ethische Kategorien mit technologischem Fortschritt zu verbinden.

Globalisierung auf dem Rückzug

Im Zeitalter der Globalisierung ist eine junge, gebildete Mittelklasse entstanden, die, ohne die globale Perspektive der Migration und weltumspannenden Lieferketten zu vernachlässigen, im Bewusstsein der Nachhaltigkeit ihre eigenen lokalen, individuellen Lebenswelten entwickelt. In dieser Krise wird die inspirierende Vielfalt der gewachsenen Kunstszenen wieder wahrgenommen. Man wehrte sich allerdings schon vorher gegen das vermeintlich philanthropische Spenden von Kunstwerken des internationalen Jet-Stets auf Jahrhunderte alten, öffentlichen Plätzen.

Glaubwürdigkeit durch Verantwortung

Den disruptiven Phantasien global agierender Investoren, die ohne lokale Rechenschaftspflicht und Verantwortlichkeit gewachsene Strukturen zerstören, begegnet man inzwischen mit Misstrauen. Die COVID-19 Krise zeigte in den kreativen Berufsfeldern deutlich, dass die neoliberale These, wonach der Markt Ungleichheiten beseitigt oder sogar Krisen in den Griff bekommt, der Vergangenheit angehört. Es ist offensichtlich, dass Marktmanipulation und Spekulation im Kunstmarkt Vielfalt und Innovationskraft verhindern. Diese problematischen Entwicklungen sind von Menschen gemacht.

Kunst und Kultur als Grundbedürfnis

Ohne staatliche, finanzielle Förderung von Künstlerinnen und Künstlern wäre die Kunstproduktion vollständig zum Erliegen gekommen. Auf dem neoliberalen Marktplatz gelten oft ethische Kategorien als Hindernis zur freien Entfaltung der kapitalerzeugenden Kräfte. Kunst und Kultur sind aber urmenschliche, gemeinschaftsbildende Grundbedürfnisse. Sie können nur innerhalb einer Solidargemeinschaft entstehen. Wiederum stärken und integrieren sie diese. Antrieb und schöpferische Motivation für selbstbestimmte, aufgeklärte Künstlerinnen und Künstler ist es daher, den Ressourcenbedarf ihrer Werke zu minimieren und den Erhalt der Umwelt im künstlerisch-gesellschaftlichen Diskurs in den Mittelpunkt zu stellen. Inhaltliche Auseinandersetzung durch immer höhere Kunst-Marktpreise zu ersetzen ist Vergangenheit.

Kunst um die Welt zu retten

Im europäisch geprägten Verständnis von Kunst und Leben ist ein gewisser Ewigkeitscharakter fundamental. Mit dem Beginn des 21. Jahrhunderts sehen Künstlerinnen und Künstler besonders die Sorge um den Erhalt unseres wunderbaren Planeten Erde, seiner immer noch unerforschten Vielfalt und Komplexität, als Inspirationsquelle. Nach Jahrhunderten der Kunstproduktion zur Lobpreisung göttlicher und religiöser Welterfahrung bedeutet das heute, die Vielfalt des Lebens und ihren Erhalt ins kreative Zentrum zu rücken.

Es ist die wissenschaftlich-säkulare, erkenntnisorientierte Welterfahrung, die den Menschen dazu bewegt, sich demütig selbst zurückzunehmen. 

Er läßt sich nicht von Weltbeherrschungsphantasien verführen, sondern richtet seinen schöpferischen Antrieb auf ein Leben ohne Zerstörung durch ungebremsten Konsumismus aus. Mit einer direkten Teilhabe an kreativen Prozessen, partizipativen Methoden der Kunstvermittlung und ohne ökologischen Fußabdruck werden die Werke der Zukunft produziert. 

Post-Anthopozän

Ein ethisch gebildetes Publikum – nicht Mitläufer oder Nutzer – ist integraler Bestandteil der künstlerischen Prozesse und der Diskussionen um deren Inhalte. Kunst und Wissenschaft, ethische Werte in Verbindung mit technologischem Fortschritt, machen die komplizierten, abstrakten Sachverhalte des Klimawandels für die Menschen auch emotional erfahrbar. Eine Avantgarde aus Künstlerinnen und Künstlern, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern könnte so zur einer grundlegenden Bewussteins- und Verhaltensänderung beitragen, um unsere Welt zu retten. 

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