Made in Europe – Digitale Menschenwürde?

Foto Vivian Haddad, Text Susanne Gold & Corinna Heumann

Für die Folgen des technologischen Fortschritts gibt es keine mathematische Gleichung. Darum steht bei technologischen Entwicklungen immer wieder automatisch auch die Frage nach der Verantwortung dafür im Raum.

Europa hat eine lange geisteswissenschaftliche und naturwissenschaftliche Tradition.

Dort wurden Demokratie und Menschenrechte erfunden und sogar die Banken. Am CERN bei Genf entstand 1989 das Web, als Tim Berners-Lee das Hypertext-System aufbaute, mit dem Ziel, den allgemeinen Zugang zu einer großen Sammlung von Dokumenten zu erlauben.

An eine Möglichkeit, mit persönlichen Daten von Bürgerinnen und Bürgern zu Handel betreiben und so riesige Vermögen anzuhäufen, hat damals sicherlich niemand gedacht. Inzwischen ist es aber offensichtlich, dass man nur mit interdisziplinärer Verbindung verschiedener Fachbereiche beginnen kann, Lösungsansätze für problematische gesellschaftspolitische Entwicklungen zu finden.

China und USA liegen bei den Investitionen vorn

Bis heute wird in Europa im Vergleich zu China und USA vergleichsweise wenig in künstliche Intelligenz investiert. Letztere stehen im Wettbewerb um die globale Führung in Zukunftstechnologien. KI- Forschung wird in China vom Staat vorangetrieben, unter anderem, um die Interessen der Regierung zu wahren. In den USA werden KI – Forschungsprojekte vor allem von der Wirtschaft finanziert und dienen hauptsächlich der Wertschöpfung.

 In Europa wird bisher vergleichsweise wenig investiert

Bereits 2015 investierten Unternehmen in den USA fast 20 Milliarden Euro und in Asien etwas über 10 Milliarden Euro in KI – in Europa waren es damals gerade 3,5 Milliarden Euro.

Dieses Bild spiegelt sich auch bei den Investitionen in KI-Start-Ups wider. So verdreifachten sich die Finanzmittel für Start-Ups allein zwischen 2016 und 2017 global von 5 auf 15,2 Milliarden Dollar – mit China als treibender Kraft. Dort stieg die Investitionssumme von rund 0,5 auf fast 7 Milliarden Dollar. In den USA verdoppelten sich die Investitionen von knapp 3,1 auf 5,8 Milliarden Dollar. Der Rest der Welt legte dagegen nur um rund 50 Prozent zu, auf insgesamt 2,1 Milliarden Dollar.

KI – Ethik, Made in Europe?

Eine Europäische KI-Strategie könnte nun eine Ethik in der Informationstechnologie – „Made in Europe“ sein. Diese soll Vertrauen, Sicherheit, Transparenz und Verlässlichkeit in die KI integrieren und so Vorteile im globalen Wettbewerb schaffen. Damit würde sie einen kraftvollen Gegenentwurf zu den Strategien der KI-Giganten USA und China markieren. Und einen „dritten Weg“ etablieren, der auf Datenschutz, Nachhaltigkeit und humanistische Werte fokussiert ist.

Grundlagen für die Gestaltung der Zukunft

Dieses konstruktive KI-Mindset erfordert neben außerordentlichen, staatlichen Investitionen in Bildung und Forschung, auch den Mut von Unternehmern, aktiv und reflektiert die Gestaltung der Zukunft anzupacken. Zu einer solchen KI-Wettbewerbs-Strategie, passt zudem in das neue Vorhaben der EU. Europa will Vorreiter in Sachen Kryptowährungen werden.

Europa will Vorreiter werden

Die Europäische Kommission will mit neuen Regeln für Digital- und Kryptowährungen, wie Bitcoin oder Libra, neue Maßstäbe setzen und Europa damit zum Vorreiter machen. Dazu teilte die Brüsseler Behörde mit, dass das Paket Europas Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft des Finanzsektors stärken wird. Das soll den Weg dafür bereiten, Europa weltweit zum Vorreiter zu machen.

Verbraucher sollen künftig mehr Möglichkeiten bei finanziellen Diensten und Zahlungsmethoden erhalten. Dabei soll der digitale Binnenmarkt vereinheitlicht werden, damit Verbraucher grenzüberschreitend Zugang zu Finanzprodukten haben. Das heutige Paket wird Europas Wettbewerbsfähigkeit und Innovationen im Finanzsektor stärken und den Weg bereiten, damit Europa weltweit Vorreiter ist, teilte die Brüsseler Behörde mit. Verbraucher würden mehr Auswahl und Möglichkeiten bei finanziellen Diensten und modernen Zahlungsmethoden erhalten.

Gleichzeitig würden Verbraucherschutz und finanzielle Stabilität gestärkt. Angesichts der gegenwärtigen Lage besteht dringender Handlungs- und Innovationsbedarf, digitale Forschungsfelder und deren Anwendung nach den Kriterien Menschenwürde und ethische Werte auszurichten.

Korruptions- und Manipulationsskandale erschüttern europäische Weltkonzerne

Bei über 50 % der Deutschen nahm das Vertrauen in ihre Banken ab. Nur noch 13 % glauben, dass ihre Bank sie unabhängig berät. Die expansive Geldpolitik der EZB stößt zunehmend auf Kritik. Die großen Internetkonzerne untergraben den freien marktwirtschaftlichem Wettbewerb und die demokratische Grundordnung.

Ein US-amerikanischer Kongress Ausschuss veröffentlichte gerade den Bericht einer Untersuchung und kommt zu niederschmetternden Ergebnissen: Die Anhörungsreihe des Unterausschusses erbrachte bedeutende Beweise dafür, dass diese Firmen ihre Dominanz auf eine Art und Weise ausüben, die das Unternehmertum untergräbt, die Privatsphäre der Amerikaner im Internet verschlechtert und die Lebendigkeit der freien und vielfältigen Presse untergräbt. Das Ergebnis ist weniger Innovation, geringere Wahlmöglichkeiten für die Verbraucher und eine geschwächte Demokratie.

Wer übernimmt dafür die Verantwortung?

Gleichzeitig mit dem Vertrauensschwund in große Wirtschaftsunternehmen und teilweise auch in die von Lobbyisten beeinflusste politische Klasse, wächst in der Bevölkerung ein neues Wertebewusstsein heran. Während der COVID-19 Krise wird genau beobachtet, welche Regierungen und Staaten in welcher Weise sie meistern. Nationalistische und populistische Parteien verlieren an Zustimmung. Eine Politik der demokratischen Mitte, der Toleranz, des sozialen Ausgleichs und des Klimaschutzes gewinnt an Bedeutung.

Die Würde des Menschen, seine Autonomie, Meinungsfreiheit und Teilhabe an gesellschaftspolitischen Prozessen, die mentale und körperliche Gesundheit, der Schutz vor digitaler Manipulation und Ausbeutung durch Lohndumping, die Chancengleichheit werden zunehmend von der Bevölkerung auch in nicht-demokratischer Gesellschaften eingefordert. Man erkennt, dass hinter jeder Technologie Menschen stehen, die für die Konsequenzen, die ihre Entwicklungen haben, verantwortlich gemacht werden müssen.

Regulierung von autonomen IT-Systemen

Zur Regulierung von autonomen IT-Systemen empfahl das EU-Parlament bereits 2017 der Kommission folgende ethische Werte in Bezug auf die Digitalisierung juristisch zu berücksichtigen: Freiheit, Privatheit, Würde, Selbstbestimmung, Sicherheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Nichtdiskriminierung, Transparenz, Autonomie und Verantwortung.

Die Zukunft der Währungen wird uns alle betreffen und unsere Gesellschaften prägen. Eine gemeinsame digitale europäische Währung, in die die europäischen ethischen Werte integriert sind, wird Europas verlorene Glaubwürdigkeit in der Welt zurückgewinnen.

Alle Bürger Europas sind daher gefordert, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob wir die Antworten nur den Ingenieuren, Investoren und Unternehmern und ihren privaten Interessen überlassen oder selbst im Interesse des Allgemeinwohls und eines lebenswerten Europas selbstbestimmter Bürgerinnen und Bürger zu handeln.

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