Aufstand der Herrscher oder Weintrauben im Winter?

Für viele von uns, die in den sechziger Jahren oder früher geboren wurden, war es nicht üblich, an Weihnachten Erdbeeren und Weintrauben kaufen zu können. In den sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts waren die weltweiten Lieferketten noch nicht so ausgedehnt und entwickelt wie heute.

Während unsere Großeltern im Winter oft nur Kohl und Kartoffeln konsumieren konnten, können wir alle erdenklichen Sommerfrüchte frisch und günstig im Supermarkt kaufen – Ende Dezember!

Wie machen wir das?

In dem wir global wirtschaften und unsere Produktion in wärmere – oft aber auch ärmere – Länder verlegen. Dort produzieren Unternehmen unter weniger strengen Auflagen zum Schutz der Umwelt oder Menschen.

Diesen Zusammenhang könnten wir uns bei jedem Einkauf bewusst machen. Denn nur so ist der absurde Umstand möglich, dass Menschen in Bangladesch und anderen Ländern für wenige Cents am Tag Textilien nähen oder Südfrüchte ernten, die auch nach wochenlangem Transport in unsere absatzstarken Länder immer noch spottbillig sind.

Wer also im Dezember Mangos für ein paar Cents kauft oder einen spottbilligen Pullover, ist Teil des mörderischen und ausbeutenden Systems, welches Menschen anderenorts häufig nur eine ganz lausige Existenz sichert. Ein Dilemma, denn kaufen wir nicht, scheint selbst diese nicht mehr gesichert.

Die herrschende Klasse – wir?

Manche Soziologen argumentieren, dass sich das Klassensystem, welches Karl Marx anprangerte, niemals aufgelöst hat. Die Klassen haben sich lediglich global verschoben.

Demnach leben wir heute in einer globalen Klassengesellschaft. Hier, in den zivilisierten Ländern mit großer Kaufkraft, sind wir die herrschende Klasse – also die ausbeutenden Fabrikbesitzer aus Zeiten von Marx. Die neue ausgebeutete Arbeiterklasse sind jetzt die Beschäftigten in den Zulieferländern – sei es in Asien, oder in Afrika.

Der Preis für den fortwährenden Anstieg unserer Kaufkraft sind die Armut und Unsicherheit der Menschen in den Billiglohnländern, sowie eine erschreckende Klimabilanz. Leider ist die Vorstellung, dass sich uns völlig unbekannte Menschen an einem anderen Ort der Welt für unseren Wohlstand oft halb tot – und leider viel zu oft auch wirklich tot – arbeiten, sehr abstrakt.

Sonst, da bin ich sicher, würden viele anders handeln und einkaufen. Schließlich gibt es zahlreiche Hilfsorganisationen für notleidende Tiere in anderen Ländern. Der Unterschied ist wohl, dass uns das Schicksal der Tiere häufig mit einem Foto und einer entsprechenden Vor-Geschichte vertrauter wurde, als das der Menschen, von denen wir nie etwas sahen, lasen oder hörten.

Eine faire und nachhaltige Weltwirtschaft?

Dazu könnte natürlich vor allem ein Umdenken der Wirtschaft helfen. Da das aber in einer auf Wachstum ausgerichteten und global orientierten Wirtschaft kaum erwartbar ist, müssen wir selbst etwas tun. Als erstes könnten wir uns unsere Kaufkraft als Konsumenten bewusst machen.

Ohne uns, die Käufer, läuft der globale Gemischtwarenladen nicht!

In der Wirtschaft gilt das Gesetz, dass das Angebot die Nachfrage bestimmt. Wenn wir weniger kaufen und bewusst nachhaltig arbeitende Produzenten und Betriebe unterstützen, also im Grunde einfach einen fairen Preis für ihre Produkte zahlen, ist das nicht die Lösung aller globalen Probleme, aber ein Anfang. In Deutschland informiert z.B. der vom Rat für nachhaltige Entwicklung zusammengestellte Nachhaltige Warenkorb darüber, welche Produkte welche Vor- und Nachteile haben.

Können wir eine Revolution der Ausbeuter anstiften – Eine Revolution der Fabrikbesitzer? Einen Aufstand der herrschenden Klasse?

In der gesamten Industriegeschichte hat es das noch nicht gegeben! Können wir das – digital – schaffen?

Uns zu einer Weltgemeinschaft zu formieren, die internationale Probleme wie unfaire Handelsbeziehungen, Bevölkerungswachstum und Klimakatastrophen nicht länger der Verantwortung der nationalen Staaten überlässt?

Wie können wir alle zusammen Richtlinien dazu – eine Global Economic Governance – gestalten? Wie unsere Gier – nach immer mehr Konsum und Luxus – zum Wohle aller Menschen überwinden? Nachhaltiges Einkaufen ist der Anfang vom Ende der globalen Ausbeutung.

Kommentare

6 comments on “Aufstand der Herrscher oder Weintrauben im Winter?”
  1. lyriost sagt:

    Mit dem „Wir“ habe ich so meine Probleme, denn wir sind nicht alle gleich. Und ganz bestimmt gehören wir nicht alle zur global herrschenden Klasse oder zur globalen Oberschicht. Wenn nicht mal Friedrich Merz meint dazuzugehören. Bei allen globalen Unterschieden sollten wir uns klarmachen: Es gibt auch in unserem Land wie in jedem anderen riesige Einkommensunterschiede, und ich möchte nicht mit denen in einen Topf geworfen werden: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_500_reichsten_Deutschen

    1. Susanne Gold sagt:

      Selbstverständlich. Dennoch kaufen auch die Ärmsten unseres Landes Produkte aus den Billiglohnländern. Ich meine unsere Kultur mit „wir“. Aber natürlich bestätigen die vergleichsweise wenigen Ausnahmen die Regel. Und die Ausnahmen werden immer häufiger! 👍🙏👍

      1. lyriost sagt:

        Liebe Susanne, mir ist diese „Kultur“ fremd, und ich kaufe trotzdem Produkte auch aus Niedriglohnländern, weil die Menschen dort sonst noch ärmer dran wären. Zwar gehöre ich nicht zu den Ärmsten, aber ich werde nicht dadurch zum Ausbeuter oder dergleichen, daß ich mich im Rahmen des mir vorgegebenen Witschaftssystems bewege. Natürlich versuche ich dieses zu destruieren, wo ich kann, aber letztlich bin ich dem ausgeliefert wie wir alle.

    2. Susanne Gold sagt:

      Ich meine nicht, dass wir uns ernsthaft der Kultur entziehen können, in der wir leben.
      Aber ein Versuch ist es Wert: Gehe mal durch Deinen Ort und versuche alles so zu sehen, als seist Du fremd hier. Umschreibe die Dinge: Ein Eis ist die geforene und zur Kugel geformte MIlch einer Kuh und so weiter….. Spätestens beim Spanferkel wird das ziemlich übel…. :-0

  2. lyriost sagt:

    Liebe Susanne, ich würde nie Spanferkel essen. Und in meinem Ort bin ich fremd. Auch deshalb. 😉

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